Preise
Warum die Inflation in Spanien unter zwei Prozent liegt
Die Lebensmittel in spanischen Supermärkten sind zuletzt nur noch um 13,5 Prozent gestiegen – immer noch ein hoher Wert, aber deutlich rückläufig
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Spanien scheint die Inflation erfolgreich bekämpft zu haben. Im Juni hat die Teuerung nur 1,9 Prozent betragen. Doch ein genauerer Blick zeigt: Es gibt viele Sondereffekte
Während die Inflation in Deutschland – auch aufgrund von Basiseffekten – zuletzt wieder leicht angezogen hat, scheint Spanien bereits am Ziel. Im Vorjahresvergleich stiegen die Preise dort im Juni lediglich um 1,9 Prozent. Damit wurde sogar das EZB-Ziel von 2,0 Prozent unterboten. Auch die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel sank von 6,1 auf 5,9 Prozent.
Dabei unterliegen Spanien und Deutschland auf den ersten Blick ähnlichen äußeren Einflüssen: dieselbe Handelszone, dieselbe Währung, ein hoher Gasanteil am Energiemix. Warum entwickeln sich die beiden Länder also so unterschiedlich?
Zunächst unterscheiden sich Deutschland und Spanien in einem wichtigen Punkt: dem Basiseffekt. Während in Deutschland im vergangenen Juni die Spritpreisbremse und das Neun-Euro-Ticket erstmals griffen und so die Inflation nach unten drückten, gab es diesen Effekt in Spanien nicht. Zwar greift seit Juni 2022 dort ein Gaspreisdeckel von 50 Euro pro Stunde, sollte das Gas verstromt werden. Doch weil in die Statistik die Spotmarktpreise einfließen, war der Effekt des Deckels auf die Inflationsrate gering.
Der starke Rückgang war in diesem Monat insofern sogar erwartet worden, da der Preisanstieg in Spanien im Juni 2022 mit 10,2 Prozent besonders hoch war. Höher war die Inflationsrate nur im Juli 2022 mit 10,8 Prozent, was auch dafür spricht, dass die Rate im kommenden Monat erneut besonders niedrig ausfallen dürfte.
Wichtigster Effekt: Sinkende Energiepreise
Dass der Preisdruck grundsätzlich abnimmt, liegt an den gleichen Entwicklungen, die auch in Deutschland tendenziell zu sinkenden Inflationsraten führen: allem voran sinkenden Energiepreisen. Diese erreichten im vergangenen Sommer ihren Höchststand, nachdem Russland seine Energielieferungen an zahlreiche europäische Staaten eingestellt hatte. Nach dem ersten Schock und zahlreichen politischen Gegenmaßnahmen beruhigten sich die Märkte aber im Laufe des Jahres wieder. Inzwischen liegen die Gaspreise wieder auf dem Niveau von Oktober 2021.
Allerdings unterscheidet sich Spanien hier von vielen anderen europäischen Ländern. Denn statt sich energiepolitisch zu entkoppeln, erhöhte Spanien die Gasimporte aus Russland im vergangenen Jahr um 63 Prozent. Von Februar 2022 bis Januar 2023 lieferte Russland 58,1 Terawattstunden Erdgas an das Land, wie aus einem Bericht des spanischen Fernleitungsnetzbetreibers Enagas hervorgeht. Im Vorjahreszeitraum waren es 35,7 Terawattstunden. Allein zwischen Januar und April 2023 wurde 118 Prozent mehr Gas aus Russland nach Spanien importiert als im Vorjahr.
Der wichtigste Grund dafür ist der Preis. Spanien ist nicht abhängig von russischen Importen, verfügt sogar über eine Pipeline nach Algerien und die größten Gasspeicher in Europa. „Es existieren Alternativen, um das russische Gas zu ersetzen, aber sie sind sehr viel teurer“, sagte Eduardo Irastorza von der EAE Business School dem spanischen TV-Sender Antena 3. Eine Megawattstunde Erdgas aus Russland kostete zuletzt etwa 14 Euro, während der als Referenz geltende TTF-Future bei knapp 34 Euro lag. Da Russland noch Gas an Spanien liefert, profitiert das Land noch stärker von den fallenden Energiekosten als Deutschland.
Nicht zuletzt profitiert Spanien seit Monaten von gutem Wetter, was die Produktion von erneuerbarem Strom antreibt. An den meisten Tagen kann das Land seinen gesamten Energiebedarf mit Erneuerbaren decken. Einige Energiekonzerne warnen bereits vor Überkapazitäten und kritisieren, dass sie durch die billigen Preise der Erneuerbaren nicht mehr profitabel produzieren könnten.
Dazu kommen im Energiebereich niedrigere Treibstoffpreise. Aufgrund der schwächelnden Weltkonjunktur liegen die Ölpreise auf einem Zwei-Jahres-Tief – und das, obwohl die Opec-Länder bereits ihre Fördermengen gekürzt haben. Noch etwas deutlicher war der Rückgang laut Statistikern beim in Spanien wichtigen Isolieröl, das zur Kühlung in Transformatoren dient. All das führt dazu, dass die Transportkomponente der Inflationsrate, immerhin mit 14 Prozent gewichtet, besonders stark rückläufig war. Sinkende Transportkosten sickern über die Zeit in andere Wirtschaftssektoren durch, was den Inflationsdruck weiter verringert.
Statistischer Effekt
Hinzu kommt ein statistischer Effekt im Energiebereich. Denn die niedrigen Marktpreise für Gas und Elektrizität wirken in Spanien viel stärker als in anderen Ländern. Das nationale Statistikinstitut nutzt für die Stromkosten allein den sogenannten regulierten Tarif, dessen Höhe eins zu eins den Preisen auf dem Spotmarkt entspricht. Das bedeutet: Sinkende Marktpreise für Energie schlagen sich in Spanien sofort in niedrigeren Strompreisen nieder – und das, obwohl nur 40 Prozent der spanischen Haushalte und 70 Prozent der Unternehmen von diesem regulierten Stromtarif betroffen sind. Der Rest fällt bei der Berechnung der Strompreise aktuell nicht ins Gewicht.
Neben Energie spielt vor allem die Lebensmittelinflation eine wichtige Rolle in Spanien. Diese macht immerhin 22 Prozent der Gesamtinflationsrate aus. Im Juni stiegen die Lebensmittelpreise im Jahresvergleich um 13,5 Prozent – was immer noch hoch ist, aber niedriger als noch im Januar (15,4 Prozent). Niedrigere Lebensmittelpreise haben außerdem direkte Auswirkungen auf die Preise in Hotels und Restaurants, die weitere 14 Prozent der Gesamtinflationsrate ausmachen. Diese scheinen sich mittlerweile leicht zu stabilisieren.
Experten sind sich aber weitestgehend einig, dass die spanische Inflation in der zweiten Jahreshälfte wieder ansteigen dürfte. Die günstigen Basiseffekte aufgrund höherer Energiepreise werden in der zweiten Jahreshälfte allmählich nachlassen. Darüber hinaus könnten die Ölpreise ab Anfang 2024 wieder steigen, sollte die globale Konjunktur anziehen. Das würde auch zum Anstieg der Inflation beitragen. Die ING rechnet zum Beispiel mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 4,1 Prozent in diesem Jahr und 2,5 Prozent in 2024.