Nachdem bereits beim Weltcup-Auftakt im alpinen Skisport in Sölden vor einigen Wochen der Riesenslalom der Männer wegen zu starken Sturms abgesagt werden musste, schauten die besten Skifahrer der Welt an diesem Samstag auch am Matterhorn in die Röhre. Eigentlich sollte hier vor spektakulärer Kulisse die erste Abfahrt des Winters stattfinden, sie musste aber wegen schlechter Witterungsbedingungen abgesagt werden. Zu viel Neuschnee in der Nacht vor dem Rennen und starke Windböen machten einen Start auf etwas mehr als 3700 Metern unmöglich.
Zweite Absage in Folge
“Das ist sehr frustrierend”, sagte der deutsche Cheftrainer Christian Schwaiger. “Wir waren motiviert, dass es heute endlich losgeht.” Überraschend kam die Absage am frühen Samstagmorgen allerdings nicht mehr. Dass das Rennen, das auf der Schweizer Seite des Skigebietes von Zermatt-Cervinia beginnen und in Italien enden sollte, ausfallen könnte, war aufgrund der Wetterprognose befürchtet worden. Die Sportler konnten bereits zwei Trainings am Donnerstag und Freitag nicht bestreiten. Am Samstag tobten rund um die Strecke teils so heftige Böen, dass auch der Gondelbetrieb aus Sicherheitsgründen eingestellt wurde.
Auch im vergangenen Jahr hatten die Rennen am Matterhorn nicht stattfinden können, damals allerdings, weil zu wenig Schnee lag. Schon damals hatte der geplante Zeitpunkt für Kritik aus Aktiven- und Expertenkreisen gesorgt. Das wiederholt sich nun. “Man könnte die Kritik vermeiden, indem man den Zeitpunkt des Rennens anders wählt”, sagte Deutschlands ehemals bester Skifahrer Felix Neureuther, der seit einigen Jahren als TV-Experte arbeitet, in der ARD. “Der Zeitpunkt Anfang oder Mitte November bedeutet, dass die Athleten schon im Vorfeld einen unfassbaren Aufwand betreiben müssen, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt fit werden müssen.”
Die neue Abfahrtsstrecke “Gran Becca” in Zermatt ist mit 3,7 Kilometern sehr lang und kräftezehrend. So früh im Winter haben die Athleten vorher aber kaum Gelegenheit gehabt, für Abfahrten zu trainieren und sich in eine körperliche Verfassung zu bringen, in der sie eine solch harte Prüfung gut bewältigen können. Das liegt auch daran, dass durch den Klimawandel die Trainingsmöglichkeiten in Europa stark eingeschränkt sind.
Kritik am Weltverband und FIS-Präsident Eliasch
Das sich aufheizende Klima spielt auch bei der Vorbereitung der Piste eine Rolle: “Die Veranstalter mussten im Vorfeld sehr viel Aufwand betreiben, um die Piste den nötigen Zustand zu bekommen”, sagte Neureuther. “Im Gletscher sind Gletscherspalten drin. Da liegt er noch nicht so viel Naturschnee, dass man da drüberfahren kann. Das wäre aber im Frühling gegeben. Deswegen wünschen sich eigentlich alle, dass man diese Abfahrt nach hinten ins Frühjahr verlegt. Da ist es eine geniale Abfahrt mit einer tollen Kulisse.”
Dafür, dass zum offenbar unpassenden Zeitpunkt am Matterhorn gestartet werden soll, sind der Skiweltverband FIS und ihr Präsident Johan Eliasch verantwortlich. Anfang 2022 erklärten sie den Weltcup in Zermatt-Cervinia zum Prestigeprojekt – und halten daran fest, obwohl Athleten, Trainer und Verbände dagegen argumentieren.

“Wir haben uns ganz klar positioniert, was wir für eine Vorstellung haben, wo und wie man mit dem Weltcup beginnen kann”, sagte auch Wolfgang Maier, der Alpinchef des Deutschen Skiverbands (DSV), im Gespräch mit der ARD. “Das haben wir jetzt rauf und runter gepredigt in den letzten Wochen. Man braucht ja bloß heute noch Levi zu schauen”, fügte er hinzu. “Dort ist der tiefster Winter. Dort ist genau das, was wir in den Wintersport der gerne sehen wollen.”
Im finnischen Levi, nördlich des Polarkreises, fand parallel zum geplanten Rennen der Männer am Matterhorn ein Slalom der Frauen statt. Bei besten Bedingungen und vor wunderschöner Winterkulisse. Die Deutsche Lena Dürr belegte den zweiten Platz und musste sich nur der überragend fahrenden Slowakin Petra Vhlova geschlagen geben.
Veränderter Terminkalender möglich
FIS-Präsident Eliasch, der neben seinem Verbandsposten CEO der Skifirma Head und Multimilliardär ist, kennt die Argumente seiner Kritiker, verweist aber immer darauf, dass der enge Zeitplan keine Verschiebungen zulässt. Ansonsten stünden nur 15 Wochenenden zur Verfügung – zu wenig für die angesetzten Rennen. Bei Frauen und Männern sind es jeweils 45.
Maier hält das für falsch. “Ich bin jetzt schon seit 1992 im Weltcup und wir sind immer um die 44 oder 45 Rennen gefahren. Und wir haben eigentlich – abgesehen von Sölden [wo seit 2000 jeweils Ende Oktober der Weltcup-Auftakt stattfindet, Anm.d.Red.] erst gegen Ende November begonnen.”

Maier und viele andere Protagonisten der alpinen Ski-Szene fühlen sich längst als Spielball im Konflikt zwischen den eigenen, sportlichen Interessen, dem, was Klimaaktivisten und Naturschützer fordern, den Anliegen von Politikern und Tourismusverbänden sowie dem eigenen Weltverband. Ähnlich wie in Sölden sorgten die Vorbereitungen, die nötig waren, um frühe Weltcuprennen überhaupt möglich zu machen – für harsche Kritik von Umweltschützern.
Veränderungen wohl unumgänglich
“Die touristische Entwicklung hat weiterhin Vorrang vor dem Erhalt unserer Umwelt, wie im 20. Jahrhundert”, beklagten die Grünen des Schweizer Kantons Wallis kürzlich. Bilder von Baggerarbeiten auf dem Theodulgletscher unterhalb des Matterhorns hatten für Empörung gesorgt. Greenpeace Schweiz und andere Naturschutzorganisationen äußerten den Verdacht, dass die Arbeiten teils außerhalb der zugelassenen Sportzone stattfinden.
Da diese Kritik nicht leiser werden schon jetzt der alpine Skisport insgesamt infrage gestellt wird, muss es über kurz oder lang wohl Veränderungen geben. Auch Johan Eliasch und der FIS kann es nicht egal sein, wenn ständige Absagen oder Rennen vor einer Bergkulisse, in der kaum oder gar kein Schnee liegt, ihrem Produkt schaden.
“Es ist so ein genialer Sport, nicht nur für die Athletinnen und für die Athleten, für die Kinder, für die Jugendlichen, auch für die Zuschauer, für diejenigen, die das Skifahren lieben”, sagte Felix Neureuther. “Aber ich glaube, in einer Zeit wie dieser muss man sich anpassen.” Möglicherweise haben die Frauen mehr Glück. Ihre Speedrennen am Matterhorn sind erst für das kommende Wochenende angesetzt.