Moskau findet Ölhändler und Reedereien, die sich um den vom Westen gesetzten Preisdeckel wenig scheren. Im Westen wird nun über eine Verschärfung der Sanktionen beraten
Russland ist es gelungen, den vom Westen festgesetzten Preisdeckel für seine Ölexporte fast komplett zu umgehen. Westliche Regierungen schlagen Alarm angesichts der russischen Exportmengen und fragen sich, wie eine der wichtigsten vor allem von den USA vorangetriebenen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Moskau verschärft werden kann.
Allein im Oktober wurde einem führenden Regierungsbeamten aus Europa zufolge „fast keine“ der Tankerladungen unterhalb der 60 Dollar-Grenze verschifft. Den Schwellenwert pro Barrel hatten die G7 und ihre Verbündeten festgelegt. Erdöl, das Russland teurer verkaufen will, sollte auf dem Weltmarkt boykottiert werden.
„Ein Blick auf die jüngsten verfügbaren Daten spricht dafür, dass wir verschärfen müssen…“, sagt der Beamte. „Wir haben absolut nicht die Absicht, Russland damit auch weiterhin davonkommen zu lassen.“ Auf EU-Ebene laufen bereits Diskussionen, wie das Embargo besser umgesetzt werden kann und wie Russlands Ausfuhren über eine angeworbene „Schattenflotte“ von Öltankern erschwert werden kann.
Die Ernüchterung stützt sich auf offizielle russische Exportzahlen für Rohöl, dessen Preis sich nach Angaben aus Moskau im Durchschnitt bei 80 Dollar pro Barrel bewegte. Regierungsstatistiken wurden im Verlauf des Ukrainekriegs schon mehrfach angezweifelt. Aber in jedem Fall ist das Preisniveau die Basis für die Steuern, die der Kreml auf die Ausfuhren abschöpfen kann.
Hohe Preise ziehen Sanktionen den Zahn
Das hohe Preisniveau nimmt den westlichen Sanktionen der G7 einiges an Schärfe und das zu einem Zeitpunkt, wo Kiews Gegenoffensive nur mäßiger Erfolg beschieden ist. Eigentlich haben die Sanktionen das Ziel, Moskaus Einnahmen für die Kriegskasse im Ukraine-Feldzug zu verringern.
Nach den im vergangenen Dezember in Kraft gesetzten Strafmaßnahmen der G7 und Australiens sollte Händlern, die über dem 60 Dollar-Deckel Geschäfte mit Russland abschließen, der Zugang zu westlichen Versicherungs- und Logistikdienstleistern für den Transport verwehrt werden. Weil diese den Markt dominieren, wurde damit gerechnet, dass die Zuflüsse in die staatliche Kriegskasse aus dem russischen Ölhandel dank niedrigerer Preise sinken würden.
Nach anfänglichen Erfolgen hat Russland allerdings offenbar mit viel Geschick gelernt, die Sanktionen zu umgehen. Ein Schlüssel dazu war der Aufbau einer „Schattenflotte“ von in die Jahre gekommenen kleineren Öltankern, deren Reeder sich arrangieren. So stieg im Sommer Russlands wichtigste Ölsorte Ural im Preisdurchschnitt über die 60 Dollar-Schwelle. Die Ölpreise zogen an, nachdem Saudi-Arabien und Moskau gemeinsam mit dem Kartell Opec+ die Förderung drosselten. Dennoch wurde ein beträchtlicher Weltmarktanteil weiter unter der Schwelle gehandelt.
Kaum Ladungen unter 60 Dollar verschifft
Schon Ende September wiesen Erkenntnisse der Financial Times darauf hin, dass im Monat August nahezu drei Viertel aller Seetransporte von russischem Erdöl ohne Versicherungsdeckung westlicher Unternehmen unterwegs waren. Das war ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Umgehung der Strafmaßnahmen größere Dimensionen annahm. Im Oktober wurden von 134 Tankern, die russisches Öl verschifften, nur 37 von westlichen Unternehmen versichert. Inzwischen dürfte die Anzahl von Reedern, die mit Policen westlicher Anbieter Ölladungen für unter 60 Dollar pro Barrel transportieren, noch geringer sein.
In europäischen Regierungskreisen wird vermutet, dass westliche Versicherungsunternehmen mit gefälschten Papieren von russischen Ölkonzernen oder Ölhändlern getäuscht wurden. Sie müssen schriftlich versichern, dass der Verkaufspreis unter 60 Dollar liegt. Eine Möglichkeit, in diesem Rahmen zu bleiben, bestand beispielsweise darin, im Gegenzug die Kosten für die Verschiffung künstlich aufzublähen.
Trotz der ernüchternden Erkenntnisse über die geringen unter 60 Dollar gehandelten Mengen, geben Regierungsbeamte im Westen zu verstehen, dass sie an dem Preisdeckel festhalten wollen. Das Ziel bestehe nicht nur darin, dass möglichst viele Barrel Öl darunter verkauft werden, heißt es, sondern auch darin, „Anreize für Russland so zu verändern, dass es harte Entscheidungen treffen muss“. Der Umstieg auf die Verschiffung, die weitgehend ohne westliche Versicherung und Logistik auskomme, habe dem Kreml „erhebliche Kosten“ aufgebürdet.
Ein Preisschild nennt dafür Jeffrey Sonnenfeld, Professor an der Yale School of Management, der das US-Finanzministerium in der Sache beraten hat. Längere Transportrouten für russische Öltanker, teurere Versicherungsprämien, zusätzliche Hafenkapazitäten und unerwartete Anschaffungskosten addierten sich zu einem Aufschlag von 36 Dollar pro Barrel auf den Verkaufspreis von russischem Öl, sagt er. Das mindere auch Moskaus Erlöse entsprechend.
Westen zieht Schrauben an
Bei der Umsetzung des Preisdeckels haben einige G7-Mitglieder bereits damit begonnen, die Schrauben anzuziehen. Vergangene Woche verhängte die britische Regierung eine Strafe gegen den in Dubai ansässigen Rohstoffhändler Paramount Energy & Commodities DMCC. Dieser sei „von Russland eingespannt worden, um den Schaden von Sanktionen im Ölhandel abzuwenden“, hieß es zur Begründung.
In Washington forderte das Finanzministerium in diesem Monat Informationen von 30 Reedereien über 98 Schiffe an, die im Verdacht stehen, den Preisdeckel zu missachten. Eine entsprechende Reuters-Meldung hat eine mit dem Vorgang vertraute Person bestätigt. Einem anderen Insider zufolge, operierten von den 30 kontaktierten Reedereien 17 aus Ländern der G7-Koalition, sechs aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und weitere aus Indien, der Türkei, China, Hongkong oder Indonesien heraus.
Der Preis, den Russland für sein Erdöl erhält, liegt immer noch unter dem Preis für die Referenzsorte Brent, der im Oktober bei durchschnittlich 89 Dollar pro Barrel lag. Allerdings hat Russland es geschafft, den Preisnachlass für sein Ölangebot von 40 Dollar pro Barrel zu Beginn des Jahres auf weniger als 10 Dollar pro Barrel im vergangenen Monat zu senken.
Die Preisobergrenze sollte dafür sorgen, dass russisches Rohöl zwar weiterhin auf den Weltmärkten verfügbar bleibt. Es sollte jedoch nicht zu einer Angebotsverknappung und einem unerwünschten Preisanstieg kommen, von dem Moskau wiederum profitiert hätte.
Westliche Politiker waren angesichts anstehender Wahltermine bei der Entscheidung auch darauf bedacht, die Weltmarktpreise für Öl in Schach zu halten, um die Inflation nicht weiter anzuheizen. US-Präsident Joe Biden, der im nächsten Jahr wahrscheinlich gegen Ex-Präsident Donald Trump zur Wiederwahl antritt, hat den Wählern versprochen, die Benzinpreise im größten Erdöl verbrauchenden Land der Welt niedrig zu halten.
Russland hat seinerseits Beschränkungen für die Ausfuhr von raffinierten Kraftstoffen verhängt. Begründet wird dies mit inländischen Engpässen. Aber die Maßnahme schürt auch die Befürchtung, dass Moskau die Ölversorgung zunehmend als Waffe einsetzen könnte.
Mitarbeit Henry Foy und Ian Johns
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