Die Welt wartet auf bezahlbare, kleine Elektroautos mit ordentlicher Reichweite. Der neue Corsa soll das bieten. Erfüllen sich die Versprechen des Herstellers Opel? Eine Testfahrt durchs Rhein-Main-Gebiet
E-Autos sind in Deutschland in diesen Tagen nicht gerade ein Verkaufsschlager. Im September wurden 63 Prozent weniger neu zugelassen als im Vormonat. In Rüsselsheim trübt das die Stimmung an diesem Mittwoch nicht, als Opel den neuen Corsa mit reinem Elektroantrieb vorstellt. Rebecca Reinermann, Opels Marketingchefin, steht neben dem Modell und sagt, der Wagen sei „so nahbar und einfach für Kunden“, dass er nur Erfolg haben könne. Dann schiebt sie (komischerweise auf Englisch) nach, Opel sei nun mal „the German Energy Brand“.
Ist er das also endlich, der Stromer, auf den alle warten? Ein Kleinwagen mit ordentlicher Reichweite und einem attraktiven Preis, der den Deutschen den Einstieg in die Elektromobilität wieder schmackhaft machen kann? Die Voraussetzungen stehen nicht schlecht. Der Corsa ist als Verbrenner ein absolutes Erfolgsmodell, in den vergangenen Jahren Deutschlands beliebtestes und meistverkauftes Auto seiner Klasse; in Großbritannien sogar das meistverkaufte Fahrzeug überhaupt. Insgesamt, verkündet Rebecca Reinermann stolz, seien seit Markteinführung 1982 rund 14,5 Millionen Exemplare ausgeliefert worden.
Rückansicht mit großem Schriftzug: In der Standard-Version sind die Rücklichter überraschenderweise mit Halogenbirnen bestückt, nicht mit LED.
© Opel
In der sechsten Generation gibt es den Corsa in Deutschland erstmals als vollelektrische Neuentwicklung. An diesem Tag stehen ein paar Dutzend „Corsa Electric“ in der Ausstattung „GS Long Range“ vor der Show-Halle des Opel-Werks Rüsselsheim bereit, um getestet zu werden. Alle Autos tragen ein Lackkleid aus „Grafik Grau“, die Dachhimmel innen und die Dächer außen sind durchweg schwarz gehalten. In echten Spaßfarben ist der Wagen nicht zu haben, außer Weiß-Schwarz-Grautönen stehen nur ein braves „Kardio Rot“ und „Voltaik Blau“ zu Auswahl. Ein gläsernes Panoramadach gibt es als Extra. Die Linienführung wirkt modern, die Karosse sieht elegant aus, aber auch ziemlich gravitätisch. Niemand wäre überrascht, wenn gleich ein Streichquartett feierlich zum Marktstart Schubert-Werke darböte.
Opel Corsa Electric ist kein Raumwunder
Ab auf die Straße zum Fahrtest. Beim Einsteigen wird klar: Es handelt sich tatsächlich um einen Kleinwagen. Als 1,91-Meter-Mann kann man es sich zwar vorn in den guten Sitzen in Lederoptik gemütlich machen, nur wird es dann auf der Rückbank dahinter sehr eng. Dafür fällt sofort auf, wie viel Beinfreiheit der Beifahrer genießt. Vor seinen Füßen fällt das Cockpit steil nach vorn ab, sodass er seinen Sitz weit nach vorn ziehen kann, ohne dass es eng wird. Auf diese Weise bietet der Corsa für drei Leute reichlich Platz.

Luftiger Einstieg: Auch für große Fahrrinnen und Fahrer stellt der Corsa viel Platz bereit. Die Sitze wirken hochwertig, sie sind bequem und bieten Halt.
© Opel
Ein Raumwunder ist er trotzdem nicht. Warum auch? Kleinwagen und Raumwunder schließen sich nun mal aus. Er ist ein Vehikel für Singles, Paare – oder ein Zweitwagen für Familien. Die geteilte Rücksitzlehne lässt sich im Verhältnis 60:40 umklappen, dann stehen Kinderwagen freundliche 1042 Liter Gepäckraum zur Verfügung. Das ist ein sehr erfreulicher Wert.
Das Interieur wirkt überraschend hochwertig, als wäre man in der Mittelklasse gelandet. Das ist nicht die Regel in der Gattung der Kleinwagen, die meist mit Hartplastik ausgeschlagenen werden. Das Armaturenbrett ist weich geschäumt, Klavierlacke allerorten, die Türen sind mit Vlies bezogen. Auch die Verarbeitung bietet wenig Grund zur Klage. Das alles sorgt für Wohlgefühl. Das Auto umschließt die Insassen wie eine schützende Einheit. Selbst wenn man auf der Autobahn mit 150 Stundenkilometer rast – bei diesem Tempo wird abgeriegelt –, bleibt es innen ausgesprochen leise; nur leichte Windgeräusche sind zu vernehmen.

Heimelige Anmutung: Die Innenausstattung des Corsas zeigt wenig Hartplastik für die Fahrzeugklasse. Klavierlack und Velours schafft Wohnzimmeratmosphäre.
© Opel
Der Testwagen hat 156 PS und ist in 8,1 Sekunden von Null auf Hundert. Für ihn hat Opel eine neue Batterie mit 51 Kilowattstunden (kWh) entwickelt, die sich im Idealfall in unter 30 Minuten von zehn auf 80 Prozent aufladen lässt; an Schnelladesäulen sind Ladeleistungen bis 100 Kilowatt (kW) möglich. Der ebenfalls neue, hocheffiziente Synchronelektromotor soll für eine Reichweite von über 400 Kilometern sorgen.
Das dürfte an Oktobertagen wie diesen mit 27 Grad Außentemperatur bei moderater Fahrweise durchaus zu schaffen sein. Bei der Testfahrt über rund 100 Kilometer durch das Rhein-Main-Gebiet mit Autobahn-Vollgas, Landschafts-Cruisen und Im-Stau-Stehen sind es am Ende gut 360 Kilometer. Im Winter ist der Akku sicher nach deutlich unter 300 Kilometern leer. Aber das sind dennoch sehr gute Werte für Kleinwagen. In der Standard-Version verfügt das Auto über 136 PS und eine 50-kWh-Batterie, die Reichweite dürfte im Alltag rund 30 Kilometer weniger betragen als beim GS.
Alles ist digital
Beim Umgang mit dem Multimedia-System wird es ein bisschen fummelig. Opel war in dieser Disziplin bislang nicht preisverdächtig und ist dem treu geblieben. Intuitiv, wie es Apple- und Android-Nutzer von ihren Handys kennen, geht es hier nicht wirklich zu. Auf „Hey Opel“ reagiert die Spracherkennung zwar, aber dann versteht sie meist Bahnhof, wenn man sich nicht an die empfohlenen Fragefloskeln hält. Die muss man zuvor pauken, das geht immerhin über die Hilfefunktion auf dem scharfen und gut zu betouchenden Zehn-Zoll-Mitteldisplay (die Standardversion hat nur sieben Zoll).
Alles ist digital, auch hinter dem Steuer drehen sich keine Zeiger mehr. Die Darstellungen lassen sich individuell gestalten – wenn man Lust und die Nerven dazu hat. Für konventionelle Nutzer ohne Spaß an Screen-Basteleien hätte sich Opel eine leichtere serienmäßige Menüführung ausdenken können. Immerhin gibt es wichtige Funktionen wie Lautstärke, Klimaanlage oder Homebutton als klassische Knöpfe. „Danke dafür“, werden Nicht-Nerds sagen.

Wimmelbild: Das Navigationssystem zeigt oft so viele überflüssige Informationen, dass es kaum mehr lesbar ist – schon lange nicht bei voller Fahrt.
© Opel
Das Opel-Navigationssystem gibt es nur für die GS-Version, Aufpreis 1300 Euro. Es ist leider zu oft ziemlich unübersichtlich. Information overkill. Die Liste mit den nächsten Tankstellen, Rastplätzen oder ähnlichem verklumpt immer mal wieder grafisch und ist dann nicht mehr zu entziffern. Auch vermüllen beim Passieren von Orten irgendwelche Straßennamen links und rechts der Strecke das Display. Warum werden sie angezeigt? Hier hat Opel noch Aufräumbedarf per Software-Update.
Alternativ lassen sich glücklicherweise zum Navigieren, Informieren und Unterhalten Apple Carplay und Android Auto kabellos auf den Bildschirm zaubern. Und schon kann man den Wagen komfortabel etwa mit Google Maps ans Ziel bringen. Nachteil: Googles Navigator hat in der Smartphone-Version keine spezielle Routenplanung für Elektroautos vorgesehen, die zum Beispiel Ladestopps berechnet oder zumindest Ladesäulen anzeigt. Dafür muss man dann spezielle Apps wie „Mobility+“ oder „ElectricRoutes“ installieren, was aber kein Problem darstellt.
Absolut lobenswert sind die Assistenzsysteme. Sie arbeiten ausgereift und sicher. Im wilden Verkehr an Rhein und Main tun sie klaglos ihren Dienst. Der Wagen verfügt in der GS-Version über einen adaptiven Tempomaten, er hält also automatisch Abstand zum Vordermann. Der Dienst funktioniert sanft und clever, meistert selbst unübersichtliche Situationen. Auch der Spurhalteassistent schaukelt nicht das Lenkrad nervös hin und her wie so oft bei der Konkurrenz, sondern leitet den Wagen wie auf Schienen über die Fahrbahn. Die Verkehrszeichenerkennung arbeitet tadellos, mit einem Doppeldruck auf die „Mem“-Taste wird das vorgeschriebene Tempo vom Tempomaten übernommen.
Etwas zu sanft ist die Wirkung der Rekuperation. Im „D“-Modus bremst der Motor leicht, wenn man das Gas wegnimmt, und produziert dann Strom für den Akku. Schaltet man den „B“-Modus dazu, bremst er etwas stärker. Aber von „One Pedal Driving“, also dem Fahren nur mit dem Gaspedal, ist das alles weit entfernt. Zum Stehen kommt der Corsa lange nicht, ohne das Bremspedal zu betätigen. Schade, gerade viele Stadtfahrer schätzen diese höchst effiziente Ein-Pedal-Fahrweise.
Was der Opel Corsa Electric kostet
Bleibt die Frage nach dem Preis. Die Grundversion kostet ab 32.862 Euro, die GS-Long-Range-Variante ab 36.257 Euro. Abzüglich des Umweltbonus kann man den Corsa Electric also zurzeit für gut 26.000 Euro erwerben – binnen sieben Wochen soll er geliefert werden. Das ist wohl derzeit unschlagbar, wenn man die hohe Qualität des Wagens berücksichtigt. Wer nicht mehr als 5000 Kilometer im Jahr fährt, kann den Standard-E-Corsa für 169 Euro im Monat leasen.
Allerdings verfolgt Opel – wie fast alle Autohersteller – eine ärgerliche Aufpreispolitik. Beispiel: Für eine Sitzheizung, heute eigentlich selbstverständlich, muss der Kunde das komplette „Komfort“-Paket für 400 bis 600 Euro hinzubuchen. Und serienmäßig gibt es auch nur eine AC-Lademöglichkeit von 7,4 kW; wer die für heimische Wallboxen üblichen 11 kW möchte, wird mit saftigen 1190 Euro zur Kasse gebeten. Und dann schlägt der Händler bei Neuwagen auch immer noch diese merkwürdigen Überführungskosten drauf, da kommen schnell noch einmal fast 1000 Euro zusammen.

Stern-Tester Rolf-Herbert Peters: “Momentan der attraktivste Stromer seiner Klasse.”
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Das persönliche Fazit fällt kurz aus: Der Corsa Electric ist momentan der attraktivste Stromer seiner Klasse. Auch stimmt der Preis – bei allen genannten Einschränkungen. Schon in der fünften Generation wurde jeder dritte Corsa in Deutschland mit Elektroantrieb, etwa als Hybrid, verkauft. In der sechsten Generation sind Voraussetzungen gut, dass er seinen Siegeszug im Mark fortsetzt – als reiner Elektroflitzer.
Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen