Der 41-jährige Musiker Gil Ofarim sitzt unter anderem wegen des Vorwurfs der Verleumdung und falscher Verdächtigungen auf der Anklagebank. Anfang Oktober 2021 hatte der Musiker in einem Instagram-Video schwere Antisemitismusvorwürfe gegen einen Manager des Leipziger Hotels The Westin erhoben. Nach umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft folgte jedoch eine Anklage gegen Ofarim. FOCUS online hat für Sie die ersten beiden Prozesstage live aus dem Gerichtssaal begleitet. Für den Prozess sind weitere acht Termine angesetzt:
- Dienstag, 14. November 2023, 09.00 Uhr
- Mittwoch, 15. November 2023, 09.00 Uhr
- Donnerstag, 16. November 2023, 09.00 Uhr
- Dienstag, 28. November 2023, 09.00 Uhr
- Mittwoch, 29. November 2023, 09.00 Uhr
- Donnerstag, 30. November 2023, 09.00 Uhr
- Mittwoch, 6. Dezember 2023, 09.00 Uhr
- Donnerstag, 7. Dezember 2023, 09.00 Uhr
Der Verleumdungsprozess gegen Gil Ofarim live
- FOCUS-online-Reporterin Christina Eisenberger war für Sie vor Ort
17.05 Uhr: Damit ist die Zeugin entlassen. Und der heutige und zweite Prozesstag beendet. Der nächste Prozesstag ist für den 14. November angesetzt.
17.01 Uhr: Die Zeugin und ihr Kollege gingen von sich aus zur Polizei – weil sie in den Medien die Schilderungen Ofarims gelesen hatten. Ihrer Ansicht nach sei die Situation aber anders geschehen, als Ofarim es geschildert hatte.
16.51 Uhr: Nun kommen die Fragen der Verteidigung. Ob Ofarim wirklich „gepöbelt“ habe, wie die Zeugin in ihrem Chat schreibe. Sie meinte damit, dass er androhte, über die Sozialen Medien den Vorfall zu verbreiten. Den Inhalt habe sie als Pöbeln bezeichnet.
16.39 Uhr: Jetzt kommen die Fragen des Staatsanwalts. Eine Kette habe sie nicht wahrgenommen, erklärt die Zeugin, Sie habe Ofarim aber auch nur seitlich oder von hinten gesehen.
„Das stimmt definitiv nicht. Er hat gepöbelt. Da stimmt nichts von, unglaublich!“
16.36 Uhr: „Pack deinen Stern weg“. Diesen Satz habe die Zeugin nicht gehört.
16.35 Uhr: Es geht wieder mal um die Situation in der Lobby. Die Zeugin habe keine Rufe gehört und auch nichts Auffälliges gesehen.
16.22 Uhr: Die Zeugin zeigt dem Gericht den WhatsApp-Chat mit der Kollegin. Die Kollegin sendet einen Artikel zu den Antisemitismus-Vorwürfen, die Ofarim den Hotelmitarbeitern machte und fragt: „War da wirklich was los? Ihr wart dabei?! Komisch, was er daraus macht.“ Die Zeugin antwortet: „Das stimmt definitiv nicht. Er hat gepöbelt. Da stimmt nichts von, unglaublich!“
16.18 Uhr: Die Zeugin habe von einer Kollegin das Video, das Ofarim in den sozialen Medien veröffentlichte, geschickt bekommen. Ob das so gewesen sei, habe die Kollegin gefragt. „Nein, das sei nicht so gewesen“, so die Zeugin.
„Bam, bam, viral“: Gil Ofarim soll Hotelmanager mit Instagram-Video gedroht haben
16.13 Uhr: Die Zeugin sagt, sie habe noch gehört, dass Ofarim zu dem Hotelmanager sagte, dass er das nicht in Ordnung gefunden habe, dass die Männer die Karten bekämen. „Er wirkte genervt, dass er seine Karte nicht bekommen hat und warten musste“, so die Zeugin. Der Hotelmanager sei sehr ruhig gewesen und habe dann zu Ofarim gesagt, er müsse nicht in diesem Hotel übernachten. Ofarim habe dann gesagt, er könne das auch publik machen über Instagram und dann ginge es „bam, bam, viral“ und habe dabei in die Handflächen geklatscht.
16.11 Uhr: „Sie haben doch immer die Karten schon fertig, können wir die nicht kriegen?“ Das hätten die Herren gefragt, die hinter der 63-Jährigen und ihrem Kollegen gestanden hätte. Sie wären Stammgäste, hätten sie gesagt. Ofarim habe sich dann halb umgedreht und sagte laut der Zeugin mit kräftiger Stimme: „Wir stehen hier doch alle in Line und warten.“
Nächste Zeugin vor Gericht – ob das Ofarim sei?
16.09 Uhr: Und die nächste Zeugin. Die Kollegin des 58-Jährigen Bankkaufmanns. Auch sie schildert den 4. Oktober 2021 im Hotel The Westin. Sie habe noch ihren Kollegen angestupst, ob das nicht Ofarim sei. Der Kollege habe nur mit der Schulter gezuckt.
16.02 Uhr: Nach einigen Fragen zu dem Aufbau der Lobby im Hotel The Westin entlässt der Vorsitzende Richter den 58-Jährigen aus dem Zeugenstand.
15.56 Uhr: Es geht früher los, als angesagt! Die Verteidigung hat derzeit keine Fragen an den Zeugen.
15.46 Uhr: Und wieder Pause. Um 16 Uhr soll es weitergehen.
15.45 Uhr: Der Zeuge erklärt nochmal auf Nachfrage des Staatsanwalts: Nicht Ofarim habe gesagt, dass er eine „Bombe platzen“ lassen würde. Das sei die Formulierung des Zeugen gewesen.
Zeuge: Davidstern-Kette von Ofarim erst später gesehen
15.43 Uhr: Jetzt stellt die Staatsanwaltschaft Fragen. Es geht um das Schmuckstück, den Davidstern, den Ofarim um den Hals trug. Der Zeuge habe den Davidstern bei Ofarim später gesehen. Anfangs aber nicht. Ofarim habe, soweit sich der 58-Jährige erinnere, seine Jacke anfangs noch nicht geöffnet.
15.29 Uhr: Der Zeuge und Ofarim seien fast gleichzeitig an die beiden Check-in Schalter gekommen. Er habe das Gespräch zwischen dem Hotelmanager und Ofarim mitbekommen, weil Ofarim lauter gesprochen hätte. Wie lange das Gespräch zwischen den beiden gedauert hat? „60 bis 90 Sekunden. Lassen Sie es zwei Minuten gewesen sein, aber es war eine relativ schnelle Abfolge.“ Er habe gehört, dass Ofarim nicht einchecken brauche, wenn er so über das Hotel spreche. Er habe nicht gehört, dass der Hotelmanager gesagt habe, dass er das Hotel verlassen müsse.
15.24 Uhr: Ofarim war laut dem Zeugen mit einer Lederjacke bekleidet, hatte einen Gitarrenkoffer und einen weiteren Koffer mit bunten Aufklebern dabei, wie der Zeuge schildert. In der Warteschlange seien auch ein paar erregte Stimmen gewesen.
„Bombe platzen lassen, dass das viel Ärger für das Hotel geben würde“
15.22 Uhr: Jetzt sitzt ein weiterer Zeuge vor Gericht und schildert die Situation. „Ich bin mit meiner Kollegin an dem Tag in das Hotel gekommen, um einzuchecken“, erklärt der 58-jährige Bankkaufmann. Sie seien Gast einer Veranstaltung des damaligen Arbeitgebers gewesen. Im Hotel habe sich eine längere Schlange gebildet und er habe mitbekommen, wie Personen hinter ihm nachgefragt hätten, warum das so lange dauere. Diese Personen wurden vom Hotelmanager rausgezogen und konnten offenbar einchecken.
Daraufhin habe Ofarim nachgefragt, warum sie vorgezogen würden. Vom Hotelmanager, habe Ofarim eine etwas „eher patzigere Antwort“ bekommen, dass schon alles für sie vorbereitet gewesen wäre. Ofarim habe in die Schlange reingefragt, ob für noch jemanden etwas vorbereitet gewesen wäre. Daraufhin hätte niemand geantwortet. Er und seine Kollegen hätten hinter Ofarim gestanden. Der 58-Jährige habe Teile des Gesprächs zwischen dem Hotelmanager und Ofarim mitbekommen. Zumindest die Teile Ofarims. Er werde eine negative Bewertung in den sozialen Medien hochladen, das lasse er sich nicht gefallen und eine „Bombe platzen lassen, dass das viel Ärger für das Hotel geben würde“, dann soll der Hotelmanager ihm den Meldeschein weggezogen haben.
15.07 Uhr: Und es geht weiter!
14.25 Uhr: Gerade ging es um Nachfragen zu dem Reservierungssystem des Hotels und Organisatorisches zu weiteren Zeugenbefragungen. Jetzt erst einmal eine Pause. Es geht weiter um 15 Uhr.
Auf Liste der VIP-Anreisen stand ganz oben der Name Gil Ofarim
14.06 Uhr: „Sagen Sie niemals NEIN, sagen Sie lieber: Ja, gerne.“ Das steht auf dem Kopf des nächsten Dokuments, das auf der Leinwand zu sehen sind. Darin geht es um für die Mitarbeiter relevante Informationen, die am Vortag, in der Nacht und auch am nächsten Tag passieren. Etwa An- und Abreise. Das erklärt die Mitarbeiterin, die sich noch im Zeugenstand befindet. Bei den VIP-Anreisen steht ganz oben der Name „Gil Ofarim“, Zimmer 2617, Abreise: 05.10.2021, Bemerkung: Sänger.
14.03 Uhr: VIPs – die Mitarbeiterin erklärt, wie sie sich täglich eine Liste mit ankommenden VIPs ziehen. Die Abkürzung „VIP“ bedeutet „very important person“, auf deutsch eine besonders wichtige Person. Das Hotel „The Westin“ verwendet laut den bisherigen Aussagen des Hotelmanagers und der Mitarbeiterin diese Bezeichnung als Hinweis für die Mitarbeiter, dass sie es mit einer relevanten Persönlichkeit zu tun haben. Diese können Politiker, Stars oder auch Stammgäste sein und genießen manchmal besondere Vorteile im Hotel.
13.58 Uhr: Jetzt gucken wir uns auf einer großen Leinwand Aufnahmen an. Es geht um die Masken, die das Hotel für Reservierungen und Check-Ins verwendet. Darauf ist auch die Beschreibung „VIP“ mit einer Nummer dazu zu sehen.
13.51 Uhr: Keine Fragen seitens des Forensikers oder des Nebenklägers. Es geht weiter mit der Verteidigung. Die will vor allem organisatorische Fragen innerhalb der Hotelstruktur klären – alles weitere dann wohl Ende November.
„Pack deinen Stern ein“: Hotelmitarbeiterin sagt, dass dieser Satz nie gefallen ist
13.46 Uhr: „Pack deinen Stern ein“ – Ist dieser Satz so von dem Hotelmanager gefallen, fragt der Staatsanwalt? „Nein.“
13.45 Uhr: Ob die Aussage „Bam, bam, bam“ von Ofarim stammte? „Ich bin der Meinung, dass er das auch so gesagt hat.“
13.41 Uhr: Wie sei ihr die Aufgebrachtheit Ofarims aufgefallen? „Gestik, Körpersprache, er ist aber nicht lauter, sondern schroffer geworden.“
13.40 Uhr: Ob ihr Ofarim in der Warteschlange aufgefallen sei? „Ja, aber ich hatte andere Gäste vor mir, auf die ich mich konzentriert hatte. Aber er ist mir als Person aufgefallen.“
13.39 Uhr: Jetzt kommen die Fragen der Staatsanwaltschaft. Wann sie die Verknüpfung gemacht habe, dass Ofarim auch die Person gewesen sei, die des Hotels verwiesen wurde. Der Name habe ihr nichts gesagt, erst am nächsten Tag, als sie das Video gesehen habe und gemerkt habe, welche Ausmaße das alles annehme, erst dann habe sie sich damit befasst.
13.32 Uhr: Jetzt werde die Mitarbeiterin weiter befragt, aber für den Großteil der Fragen der Verteidigung müsse die Studentin noch einmal ins Gericht kommen – wohl am 29. oder 30. November.
13.31 Uhr: In der Unterbrechung habe es ein Gespräch zwischen den Beteiligten gegeben, erklärt der Vorsitzende Richter Stadler. Es ging um den Ablauf der Vernehmung der vorgeladenen Zeugen.
13.31 Uhr: Und sie sind wieder da. Es geht weiter.
Alles, was Sie zum Prozess wissen müssen
Kaum ein Justizfall hat in Sachsen und Deutschland die Gemüter zuletzt so sehr erhitzt wie der Fall Gil Ofarim (41). Der Sohn des israelischen Musikers Abi Ofarim (1937-2018) wirft vor gut zwei Jahren in einem Instagram-Video dem Mitarbeiter eines Leipziger Hotels Antisemitismus vor. Politiker und jüdische Verbände stehen zunächst geschlossen hinter Ofarim.
Der Beschuldigte wehrt sich und zeigt den Musiker wegen Verleumdung an. Nach umfangreichen Ermittlungen erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ofarim. Am 7. November beginnt der Prozess vor dem Landgericht der Messestadt.
Die Ausgangslage:
Der Musiker Gil Ofarim schildert in einem Instagram-Video, er sei am 4.10.2021 Opfer eines antisemitischen Vorfalls in einem Leipziger Hotel geworden. Ein Mitarbeiter des „Westin Leipzig“ habe ihn am Empfang aufgefordert, seine Kette mit einem Davidstern-Anhänger einzupacken. Dann dürfe er einchecken. Zuvor seien andere Gäste in der langen Schlange am Hotelempfang vorgezogen worden.
So reagiert das Hotel:
Ein Sprecher sagt, dass man sehr besorgt über den Bericht sei und die Angelegenheit extrem ernst nehme. Das Unternehmen versuche, Ofarim zu kontaktieren, um herauszufinden, was passiert sei. Wenig später werden zwei Mitarbeiter beurlaubt. Das Hotel stellt eigene Nachforschungen an und befragt Gäste und Zeugen des Vorfalls.
Die ersten Reaktionen:
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, schreibt, dass die Anfeindung erschreckend sei. Es sei zu hoffen, dass das Hotel personelle Konsequenzen ziehe. Hunderte Menschen ziehen tags darauf vor das Hotel, um Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland zu zeigen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes spricht von einem „unfassbaren Fall von Antisemitismus“.
Die Vorsitzende des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Lea Rosh, sagt, dem Musiker gelte die uneingeschränkte Solidarität des Vereins. „Juden waren in Deutschland schon mal in Hotels unerwünscht. Das war 1933. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung und personelle Konsequenzen.“
So reagieren Sachsens Politiker:
Sachsens damaliger Innenminister Roland Wöller (CDU) hoffte darauf, dass der Musiker Anzeige erstattet, damit man den Vorgang polizeilich untersuchen könne. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) schreibt, es mache ihn wütend, was Ofarim widerfahren sei. Er spreche für die übergroße Mehrheit der Menschen in Sachsen, wenn er sich stellvertretend für die antisemitische Demütigung entschuldige.
Juristische Aufarbeitung:
Die Staatsanwaltschaft Leipzig nimmt Ermittlungen auf und stellt sogar das Geschehen vor Ort nach. Der Hotelmitarbeiter erstattet Anzeige wegen Verleumdung. Er schilderte den Vorfall deutlich anders als der Künstler. Erst Tage später erstattet auch Ofarim Anzeige. Es werden mehrere Videos von Überwachungskameras ausgewertet.
Die Wende in dem Fall:
Das Leipziger Hotel ergreift nach Abschluss seiner internen Untersuchungen keine Maßnahmen gegen den beschuldigten Mitarbeiter. Aus einem 118 Seiten langen Gutachten gehe hervor, dass keine „objektivierbaren“ Anhaltspunkte vorlägen, die straf- oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Mitarbeiter rechtfertigten.
Sechs Monate nach dem Vorfall erhebt die Staatsanwaltschaft Leipzig Anklage wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung gegen den Künstler. Bei umfangreichen Ermittlungen sei herausgekommen, dass sich der angebliche Antisemitismus-Vorfall in einem Leipziger Hotel nicht so zugetragen habe, wie Ofarim es in dem Video geschildert hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Hotelmitarbeiter wird eingestellt. Monate später lässt das Landgericht Leipzig die Anklage zu. Zehn Verhandlungstermine sind bis zum 7. Dezember angesetzt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung.
Sicherheitsvorkehrungen:
Der Anwalt von Ofarim hat wenige Tage vor Beginn des Prozesses Sicherheitsbedenken wegen der aufgeheizten Lage im Nahen Osten. Es sei unklar, ob die Beteiligten das Gericht sicher betreten und verlassen könnten, sagt Rechtsanwalt Alexander Stevens. Derweil prüft das Landgericht, ob die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort erhöht werden müssen.
Man sei im Kontakt mit der Polizei. Details will der Sprecher des Landgerichts auf Anfrage nicht nennen. Ohnehin wird jeder Besucher des Landgerichts am Einlass kontrolliert. Zudem betonte der Sprecher des Gerichts, dass der Angeklagte persönlich zu der Verhandlung erscheinen müsse.