Verteilungsbericht
Mehrheit armer Menschen misstraut Politik und Rechtssystem
Bei der „Laib und Seele“-Ausgabestelle der Berliner Tafel in der evangelischen Paulus-Kirchengemeinde gibt eine Nonne Lebensmittel aus
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Das Vertrauen in staatliche Institutionen hängt stark mit dem Einkommen zusammen, zeigt der neue Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung. Arme Menschen misstrauen mehrheitlich Staat und Politik
Fast jeder vierte Mensch, der seit fünf Jahren arm ist, hat das Gefühl, dass andere auf ihn herabsehen. Bei Einkommensreichen ist es nur etwa jeder 30. Das ist ein Ergebnis des neuen Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Wenn sich Menschen gesellschaftlich nicht mehr wertgeschätzt fühlen und das Vertrauen in das politische System verlieren, dann leidet darunter auch die Demokratie“, schreiben die Studienautoren.
Als arm gilt, wessen Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des sogenannten mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Für einen Singlehaushalt liegt die Grenze nach WSI-Angaben bei maximal 1200 Euro im Monat.
Für den Bericht werteten sie die Daten des Mikrozensus aus, für den die staatlichen Statistikämter jährlich etwa 800.000 Personen befragen, und das sozio-ökonomische Panel, für das das Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) jedes Jahr rund 15.000 Haushalte interviewt.
Die interessantesten Ergebnisse liefern dabei tatsächlich die Befragungen zur Politik, denn der Bericht zeigt, dass das Vertrauen in Politiker und Parteien stark mit dem Einkommen zusammenhängt. Unter den dauerhaft Armen vertrauen 58 Prozent Politikern nicht und fast 56 Prozent Parteien nicht. Unter Einkommensreichen liegen die Werte um die 37 Prozent. Das ist ein deutlich geringerer Anteil als in der mittleren Einkommensklasse: Hier schenkt knapp jeder Zweite Parteien und Politikern kein Vertrauen.
Große Unterschiede bei Vertrauen in Polizei und Justiz
Auch beim Vertrauen in staatliche Institutionen sehen die Autoren der Studie Zusammenhänge. Unter den dauerhaft Armen vertrauen mehr als 22 Prozent nicht in die Polizei und fast 37 Prozent nicht in das Rechtssystem. Unter Einkommensreichen liegen die Werte deutlich niedriger: Sechs Prozent trauen der Polizei nicht, acht Prozent dem Rechtssystem nicht.
Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Instituts, stellte bei der Präsentation der Studie als Fazit fest, dass nicht nur die zum Teil unerträglichen Lebensumstände armer Menschen besorgniserregend sei, sondern auch das weit verbreitete Misstrauen gegenüber Staat und Politik, das eine Gefahr für die demokratische Verfasstheit darstelle. Geringes Institutionenvertrauen, das zeigten Studien, führten auch zu einer höheren Zustimmung zu Parteien wie der AfD.
Und das betreffe nicht nur arme Menschen selbst. „Gleichzeitig reichen Sorgen über die soziale Ungleichheit weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus: Für 44 Prozent der Erwerbspersonen, die wir im Juli befragt haben, war das ein großes Thema“, sagte Kohlrausch. Sie schließt daraus, dass die Bundesregierung sich wieder mehr dem Thema Ungleichheit widmen müsse. Die Studienautoren fordern deswegen eine Erhöhung der Bürgergelds, einen höheren Mindestlohn, die Stärkung der Tarifbindung sowie eine steuerliche Mehrbelastung von Reichen.