Es gibt eine Reihe von Berufen, die von der Allgemeinheit als Berufung eingestuft werden. Dazu zählt zum Beispiel der Beruf des Arztes: Wenn auf dem Flug zum Urlaubsort ein Passagier umkippt, fahndet die Crew nach Ärzten – selbst, wenn diese sich eigentlich im Urlaub befinden.
Ein Pfarrer, der den Gottesdienst beendet hat und in ein Café schlendert, wird von seiner Gemeinde ebenso gleichbleibend als Pfarrer wahrgenommen.
Schließlich wird ein Politiker, dem das Amt des Bundeskanzlers anvertraut wurde, für immer mit dem Amt assoziiert. Jede Handlung, auch private, wird zu Politik. Jede Auslassung einer Handlung beeinflusst Politik. Und jede Auszeit von der Politik wird für Beobachtende zum Teil des Kanzlers Politik.
In diesem Sinne ist es nicht erstaunlich, dass schon seit jeher versucht wurde, aus den Urlaubsgewohnheiten eines jeden Bundeskanzlers dessen politisches Selbstverständnis abzuleiten. Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtete zuerst.
Helmut Kohl, CDU: Der Stabile
Kohl, der 16 Jahre lang die Bundesrepublik regierte, verbrachte seine Sommerurlaube mit ebenso beeindruckender Verlässlichkeit am österreichischen Wolfgangssee wie er vierjährlich wiedergewählt wurde.
In Österreich bezog er laut „Neue Zürcher Zeitung“ immer dasselbe mit Hirschgeweih und Edelweiß-Socken geschmückte Haus und vermittelte damit zumindest den Eindruck eines stabilen, traditionellen und provinzliebenden Familienmenschen.
Gerhard Schröder, SPD: Der Medienfreundliche
Ganz anders als Kohl verbrachte Schröder seine Sommer, berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“. Seine freiwilligen Treffen mit europäischen Regierungschefs und angesehenen Intellektuellen während seiner Sommerpause an der fotoreifen Amalfiküste beim schicken Positano brachten ihn schon vor Social Media den Spitznamen „Medienkanzler“ ein.
Als müsse er seinem Namen alle Ehre machen, wurde er es während seiner eleganten Urlaube in Anwesenheit von Medienvertretern niemals leid zu betonen, die Nacht verbringe er in einem ganz schlichten Hotel, welches im Grunde genommen einem „Bed and Breakfast“ entspreche.
Dr. Angela Merkel, CDU: Die Zähe
Als politische Mentee Kohls gab Merkel auch im Urlaub bodenständig. Zugleich setzte sie laut „Neue Zürcher Zeitung“ wie in der Politik auch im Urlaub strategisch ihr eigenes Zeichen: Mit ihrem Ehemann Dr. Joachim Sauer und dem Extrembergsteiger Reinhold Messner begab sie sich mehrfach auf Wanderungen durch die Dolomiten.
In volksnaher Windjacke präsentierte sie sich und ihre verlässliche Ehe in der Natur. Messner attestierte der Kanzlerin zudem, was politische Beobachter schon längst von ihr kannten: Sie sei überaus zäh und ausdauernd, gehe auf Wanderungen auch sechs Stunden ohne Essenspause bergauf.
Olaf Scholz, SPD: Der X-Faktor
Der aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz lässt sich der „Neue Zürcher Zeitung“ zufolge schwer einordnen. Im Sommer 2022 noch sei er heimatverbunden und bodenständig im bayrischen Allgäu gesichtet worden. Allerdings habe die „Bild“-Zeitung damals angemerkt, dass es sich bei seiner Unterkunft um ein Ferienhaus mit „Chaletcharakter“ und einem Preis von „550 Euro pro Nacht“ handele.
Diesen Sommer soll Scholz der „Bild“-Zeitung zufolge irgendwo im „benachbarten europäischen Ausland“ sein.
Was auch immer man in sommerlicher Muße aus dieser und vorangegangenen Beobachtungen analytisch machen mag. Ohne eine Brise Humor sollte man sich nicht auf die hitzige Deutungsdiskussion einlassen.