Meinung
Bund-Länder-Gipfel zu Migration
Geht doch, Olaf: Die Politik ist noch handlungsfähig
Die beiden SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Fraktionssitzung ihrer Partei
© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Die Beschlüsse der Nacht zeigen vor allem eines: Die Politik ist handlungsfähig. Sie könnten helfen, das Thema Migration befrieden. Ob sich mit ihnen die Flüchtlingszahlen senken lassen, bleibt eine offene Wette
Geht doch, Olaf! Das ist die gute Botschaft der vergangenen, mal wieder sehr langen Berliner Nacht. Diese Nacht hat gezeigt, wenn die Bundesländer genug Druck machen, ist der Bund handlungsfähig. Sie hat bewiesen, dass selbst auf schwierigen, oft ideologisch überfrachteten Themenfeldern wie dem der Migration Kompromisse möglich sind. Man könnte auch sagen: Diese Berliner Nacht hat gezeigt, dass Politik funktioniert.
Natürlich auch, weil der Druck zuletzt enorm gestiegen war. Weil alle Akteure die Gefahr gespürt haben, dass gerade Einiges ins Rutschen geraten könnte: das noch immer verbreitete Wohlwollen gegenüber Migranten; letztlich womöglich gar der soziale Friede.
Seit Jahren schwelt das Thema. Seit Monaten beklagen wieder Bürgermeister und Landräte, die Kapazitätsgrenzen seien erreicht. Streitet die Politik wieder darüber, wer die enorm gestiegenen Kosten tragen soll. Und wie sich die enorm gestiegenen Flüchtlingszahlen senken lassen, 300.000 werden bis zum Ende des Jahres erwartet.
Am Morgen danach stellt sich deshalb nicht nur die Stilfrage. Was also taugen diese nächtlichen Beschlüsse unter der Überschrift „Humanität und Ordnung“ im Lichte des Tages?
Man muss die Einigung sicher nicht „historisch“ nennen, wie Scholz es in der Nacht tat, aber es ist gut, dass sich Bund und Länder auf ein „atmendes System“ zur Finanzierung der Flüchtlingskosten verständigt haben – statt jedes Mal erneut zu verhandeln, zahlt der Bund künftig abhängig von der konkreten Zahl der Neuankömmlinge eine Pro-Kopf-Pauschale. Es ist so logisch, dass man sich fragt, warum darüber überhaupt so lange debattiert werden musste.
Nur geht es im Streit um die Migration eben nicht allein um Geldsummen, letztlich stellt sich vor allem die eine Frage: Reichen die Beschlüsse aus, damit die Zahl der ankommenden Flüchtlinge „deutlich und nachhaltig gesenkt“ werden, wie es in dem Papier heißt?
Zwischenerfolg für den Kanzler
Die kurze Antwort lautet: Das ist eine komplett offene Wette. Die längere Antwort lautet: Zuletzt wurden alle möglichen Umstände als „Pull“-Faktoren kritisiert, die Migranten bevorzugt nach Deutschland locken würden: die angeblich im EU-Vergleich zu hohen Sozialleistungen oder die Tatsache, dass hierzulande überhaupt Bargeld ausgezahlt wird. Beides soll sich künftig ändern: Bis Anfang kommenden Jahres soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein Modell erarbeiten, um die Versorgung von Flüchtlingen auf Sachleistungen umzustellen. Außerdem sollen Asylbewerber künftig doppelt so lange warten müssen, bevor sie Bürgergeld erhalten, 36 statt bisher 18 Monate.
Mag sein, dass es hilft. Kann sein, dass nicht. Migrationsforscher verweisen immer wieder darauf, dass Menschen auf der Flucht selten monokausale Entscheidungen treffen.
Hilfreich dürften auch schnellere Verfahren sein, auf die man nun sich nun erneut verpflichtet hat – auch wenn man sich fragen darf, wieso das überhaupt beschlossen oder auch nur diskutiert werden muss? Das können die Länder, nein, das kann jedes einzelne Bundesland für sich sofort umsetzen. Aber gut, wenn es nützt, das noch einmal festzuhalten, bitte gerne.
Darum sehen wir für den Moment auch großzügig darüber hinweg, dass man andere Beschlüsse wohl getrost als Hoffnungswert verbuchen muss. Dazu zählt der nicht ganz taufrische, aber noch immer höchst kühne Plan, Asylverfahren besser gleich in Transitländern außerhalb der EU, am liebsten irgendwo in Afrika durchführen zu können.
Für den Moment gönnen wir dem Kanzler diesen Zwischenerfolg und rufen also: Geht doch, Olaf! Zu lange hat Scholz das Thema köcheln lassen. Zu lange hat auch die Union immer neue Forderungen aufgestellt. Sie kann es auch heute Morgen nicht lassen.
So verständlich es ist, wenn CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schon kritisiert, dass das Beschlossene natürlich bei Weitem nicht reiche, so gefährlich ist es auch. Es mag der Union kurzfristig nutzen, um den Druck auf Scholz und die Ampel weiter hochzuhalten. Von einem endlosen Streit über das Thema Migration profitiert am Ende aber nur eine: die AfD.
Dieser Text erschien zuerst auf stern.de.