Interview
Aneta Pacura
Dieselskandal: Die Hoffnung auf Schadenersatzansprüche wächst
Mehr als fünf Stunden verhandelte der Bundesgerichtshof am Montag über Diesel-Klagen
© Uli Deck / picture alliance/dpa
Eine Entscheidung hat der Bundesgerichtshof noch nicht gefällt, die Anwältin Aneta Pacura sieht trotzdem Anzeichen, dass die Richter im Sinne der Käufer von Dieselautos mit illegalen Abschalteinrichtungen entscheiden werden. Die Hürden für Schadenersatz würden deutlich sinken
Die Anwältin Aneta Pacura ist Gründerin der Verbraucherkanzlei ProRights in München. Im Dieselskandal vertrat sie den Fall des Daimler-Fahrers, den der EuGH im März zugunsten des Geschädigten entschieden hat. Danach haften Autobauer auch, wenn sie ohne Betrugsabsicht einfach nur fahrlässig eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut haben. In Luxemburg ging es unter anderem um den individuellen Schutz der Käufer und einen angemessenen Schadensersatz. Am Montag verhandelte der Bundesgerichtshof in drei Fällen, wie er nun die EuGH-Rechtsprechung in Deutschland umsetzen könnte. Seine Entscheidung trifft der BGH am 26. Juni 2023.
Sie waren am Montag beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe dabei. Fünf Stunden Mammutsitzung, aber keine Entscheidung – sind Sie enttäuscht?
ANETA PACURA: Natürlich hätte ich mir zu dem Thema rund um den Dieselskandal schon viel früher und schneller eine klarere Entscheidung in Deutschland gewünscht. Mehrere Tausend Mandanten haben bis heute keine Entschädigung erhalten. Für die Mandanten ist das Warten nicht nur eine Geduldsprobe, es kommt hinzu, dass ihre Autos mit jedem Tag weniger wert werden – und damit womöglich auch der Schadenersatz zerfließt. Darüber hinaus setzen viele Gerichte die laufenden Verfahren leider nicht aus, sondern lehnen den Schadenersatz einfach ab.
Ein Gutes hatte die Sitzung dennoch: Sie hat gezeigt, dass der BGH die EuGH- Entscheidung nicht auf die leichte Schulter nimmt, sondern sie umsetzen wird. Der Senat hat sich sehr intensiv mit der Schadensthematik und einer möglichen Haftung bei fahrlässigem Verhalten beschäftigt.
Was ist denn nun rausgekommen?
Aus meiner Sicht hat der Senat klar erkennen lassen, dass Käufer von Dieselautos mit illegalen Abschalteinrichtungen wie dem Thermofenster den Schadensersatzanspruch nach den neuen EuGH-Vorgaben zugesprochen bekommen werden. Das stimmt mich sehr optimistisch. Denn das wäre dann eine 180-Grad-Wende. Bisher haben die BGH-Richter Schadensersatzansprüche rund um die Fahrlässigkeit abgelehnt bzw. nicht darüber entscheiden müssen. Nun scheinen sie den Argumenten der EuGH-Richter zu folgen. Damit würden die Hürden für Schadenersatz deutlich sinken. Das hätte enorme Auswirkungen auf das deutsche Haftungsrecht und die geschädigten Verbraucher.
Wie könnte der Schadenersatz denn dann konkret aussehen?
Das ist noch etwas unklar. So wie ich es sehe, geht es nicht in Richtung Rückgabe des Fahrzeugs und Rückabwicklung des Kaufvertrages. Stattdessen könnte es auf eine „mittlere“ Lösung herauslaufen. Der Käufer könnte dann den Schaden ersetzt bekommen, der dadurch entstanden ist, dass er darauf vertraut hat, einen Vertrag über ein Fahrzeug abzuschließen, welches den gesetzlichen Vorgaben entspricht, dieses aber nicht bekommen hat.
Der BGH hat für diesen Schaden ein neues Wortungetüm konstruiert.
Ob das der BGH konstruiert hat, weiß ich nicht. Gehört habe ich von einer Art „Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz“.
Wie soll dieser Schaden denn berechnet werden?
Konkret wissen wir das hoffentlich im Juni. Es könnte die Differenz zwischen dem sein, was der vernünftige Käufer kaufen wollte (ein Fahrzeug, das den gesetzlichen Vorschriften entspricht) und dem, was er tatsächlich gekauft hat (ein Fahrzeug, das nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Wichtig wäre, dass – wenn der BGH diesen Weg wählt – er hier eine klare Richtung vorgibt, die es den Gerichten möglich macht zu entscheiden.
Käufer von Dieselfahrzeugen würden dann künftig bei gleichem Schaden (Mangel wegen illegaler Abschalteinrichtung) unterschiedlich behandelt. Bei Vorsatz gibt es den Kaufpreis zurück, bei Fahrlässigkeit (Thermofenster) nicht.
Genau das Dilemma sehe ich auch und an sich ist diese Unterscheidung nicht notwendig. Wie gesagt, der Senat hat sich noch nicht festgelegt. Es gibt ja bereits Schadensersatzansprüche für geschädigte Käufer. Aber bei der Schadensbestimmung gehen die Ansichten weit auseinander. Der EuGH hat jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass es einen Schaden gibt und der Schadenersatz effektiv sein muss und einen Sanktionscharakter aufweisen sollte.
Warten auf das Geständnis von Ex-Audi-Chef Stadler
Wird es eine neue Klagewelle geben, wenn der BGH diesen neuen Anspruch dann tatsächlich festsetzt
Ja, damit rechne ich nach wie vor. Denn tatsächlich wären die Hürden, einen angemessenen Schadensersatz durchzusetzen, dann viel niedriger, wenn fahrlässiges Handeln ausreicht.
Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler hat angekündigt, voraussichtlich nächste Woche ein Geständnis abzulegen. Welchen Wert hat so was acht Jahre nach Auffliegen des Dieselskandals?
Das Geständnis hätte aus meiner Sicht schon viel früher kommen müssen. Es kommt drauf an, was er gesteht. Wenn Herr Stadler einräumt, dass er die Abschalteinrichtungen bewusst überall hat einbauen lassen, um Geld zu sparen, obwohl er wusste, dass dadurch die Abgaswerte überschritten werden, würde uns das erheblich helfen. Das wäre dann ein klarer Vorsatz und wir könnten zahlreiche Fälle neu aufrollen, bei denen derzeit behauptet wird, die Abschalteinrichtung diene dem Motorschutz. Bei Audi gibt es momentan nur in bestimmten Fällen einen großen Schadensersatz, bei dem die Käufer ihren Kaufpreis zurückerhalten. In diesen Fällen hat das Kraftfahrt-Bundesamt zuvor den Audi zurückgerufen. Darauf wären die Geschädigten dann nicht mehr angewiesen.