Steuerfahnderin Birgit Orths ermittelt gegen die großen Steuerbetrüger, die mit illegalen Geschäften wie Cum Ex Millionen am Staat vorbeischleusen. Sie kritisiert: Die Politik tue viel zu wenig dafür, dass Täter wirklich überführt werden können
Capital: Frau Orths, mit welchen Fällen haben Sie als Steuerfahnderin in Ihrer täglichen Arbeit zu tun – und wie effizient können Sie die aufklären?
BIRGIT ORTHS: Mit der ganzen Bandbreite der Finanzkriminalität: Das können Cum-Ex-Steuerdeals sein, aber auch bandenmäßiger Umsatzsteuerbetrug und Geldwäsche. Die Beteiligten wissen, dass wir Steuerfahnder da gar nicht so schnell hinterherkommen. Sie sind uns leider meistens einen Schritt voraus.
Gilt das auch für Ihren Ex-Kollegen Hanno Berger, der wie Sie Finanzbeamter war, in Hessen Banken prüfte und nun zweifach verurteilter Cum-Ex-Straftäter ist?
Das dachte er vielleicht. Ich kenne Hanno Berger nicht persönlich, aber bei ihm war es so wie bei vielen Ex-Kollegen von uns: Wer von der Finanzverwaltung in die freie Wirtschaft wechselt, nimmt die Expertise mit und weiß, wie wir funktionieren und wo unsere Schwachstellen sind. Und entweder macht derjenige dann mit diesen Insiderinformationen was Gutes oder etwas Schlechtes. In diesem speziellen Fall ist es das Letztere.
Bei Cum-Ex-Steuerdeals schieben Investoren Aktien per Leerverkauf hin und her und lassen sich die Kapitalertragsteuer von 25 Prozent zu Unrecht mehrfach erstatten. Sie leiten stellvertretend eine Ermittlungskommission in diesen Fällen. Wie geht die Aufklärung bei Cum Ex vorwärts?
Wir tun unser Bestes, die Fälle schnell zu ermitteln, aber wir sind generell zu wenige Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder. Wenige Kollegen müssen durch kistenweise Papiermaterial und elektronisches Beweismaterial kämmen. Nur ein Bruchteil der Finanzbeamten will diese Arbeit machen. Wir brauchen ein gutes halbes Jahr, um neue Kolleginnen und Kollegen in Cum Ex einzuarbeiten. Meistens haben Steuerfahnder ja keine tieferen Kenntnisse in Investmentbanking und Börsengeschehen, dazu sind die meisten Dokumente auf Englisch. Und dann haben sie es auf der Gegenseite auch noch mit hochqualifizierten Anwälten, Investmentbankern und Mathematikern zu tun. Von den ganzen anfallenden Überstunden ganz zu schweigen. Wer bei uns zu Cum Ex und Cum Cum ermittelt, ist intrinsisch motiviert, anders geht es nicht. Diese Mitarbeiter werden weder schneller befördert noch bekommen sie mehr Geld. Zulagenzahlungen hat der Dienstherr bisher auch noch nicht in Erwägung gezogen, obwohl wir dem Staat durch unsere Ermittlungen so viel Geld reinholen.
Frühere Bundesregierungen haben in mehreren Anläufen versucht, das Steuerschlupfloch Cum Ex zu schließen. Warum hat das so lange gedauert?
Die Politik hat aus meiner Sicht lange Zeit ziemlich halbherzig agiert, nach dem Motto: Jetzt verlangt man zwar von uns, dass wir etwas ändern, aber wir ändern es so, dass sich eigentlich nichts ändert. Bei Cum Ex weiß man inzwischen, dass Fachleute beziehungsweise Juristen, die Aufsätze, Bewertungen und Gutachten verfasst und damit die sogenannte herrschende Meinung geprägt haben, mit Beteiligten und Profiteuren der Cum-Ex-Geschäfte wie Hanno Berger eng verbunden waren. Das war eine maßgebliche Beeinflussung auch der Politik durch die Leute, die von Cum Ex profitiert haben. Lobbyismus spielt also mit Sicherheit eine ziemlich große Rolle. Die Wirtschaft hat in unserer Politik ein großes Mitspracherecht.
Wie wichtig ist da das jüngste Urteil gegen Berger?
Jedes Urteil ist wichtig, damit alle in dieser Bundesrepublik verstehen: Bei Cum Ex handelt es sich objektiv um Steuerhinterziehung und nicht um eine steuerliche Gestaltungsmöglichkeit.
Sollen die Cum-Ex-Urteile abschrecken?
Ja, zumindest hoffe ich, dass sie das tun. Sie sind auch ein wichtiges Zeichen für die Bevölkerung, dass wir wirklich versuchen, Steuergerechtigkeit wiederherzustellen, indem wir an die Großen rangehen. Jeder hinterzogene Euro, der zurückgezahlt wird, zeigt: Wir als Strafverfolgungsbehörden sehen nicht tatenlos zu, auch wenn wir nur schleppend vorankommen und langsam sind. Ein gelöster Cum-Ex-Fall kann den Steuerzahlern eine Nachzahlung von 300 bis 500 Millionen bringen. Diese Summen stehen dem Staat dann wieder für Bildungsangebote, Schultoiletten oder anderes zur Verfügung. Die Menschen sollen nicht nur über die Strafverfolgungsbehörden schimpfen oder den Rechtsstaat in Zweifel ziehen. Ja, es muss sich strukturell vieles ändern, aber wir wollen aufklären.
Sie kritisieren die Behördenstrukturen und sagen, dass Steuerstraftäter auch deshalb schwierig zu überführen sind. Was genau läuft schief in der Finanzverwaltung?
Es liegt hauptsächlich daran, dass die Strafverfolgung von Steuerdelikten in Deutschland falsch organisiert ist und die zuständigen Abteilungen unterbesetzt sind. Dazu kommt, dass die Financial Intelligence Unit als Bundesbehörde für die Erstbewertung von Geldwäsche-Verdachtsmeldungen zuständig ist, es aber dort an kriminalistischer Expertise und vor allem – wie bei uns auch – an Personal fehlt. Deswegen bleiben Meldungen da ewig liegen, bevor sie an uns Steuerfahnder in den Ländern weitergereicht werden. Es war nicht durchdacht, dieser Behörde diese Aufgabe zu übertragen. Beim BKA wäre das besser aufgehoben.
Aber Finanzminister Christian Lindner (FDP) will doch ein Bundesfinanzkriminalamt gegen Geldwäsche installieren. Ist das kein richtiger Schritt?
Grundsätzlich ist das eine wirklich gute Idee. Aber damit so eine Behörde funktioniert, braucht es einen vernünftigen Unterbau. Damit meine ich vor allem einen Unterbau in den einzelnen Bundesländern und auch im Bereich der Steuerfahndungen.
Und was müsste sich bei Ihnen, der Steuerfahndung, ändern?
Die Steuerfahndung ist nicht so schlagkräftig wie sie sein müsste. Das hängt vor allem damit zusammen, wo sie als Abteilung angesiedelt ist: Wir Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder sind Teil der Landesfinanzverwaltungen. In Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt rund 28.000 Finanzbeamte – vereinfacht gesagt sind das die, die in den Ämtern die Steuererklärungen bearbeiten. Von diesen 28.000 Beamten sind wir Steuerfahnder gerade mal 650, das sind 2,3 Prozent. Für uns alle ist ein und dieselbe Aufsichtsbehörde zuständig, nämlich die Oberfinanzdirektion (OFD). Wenn dort über Arbeitsausstattung, Fortbildung oder Nachwuchsförderung entschieden wird, dann passiert das in der Regel mit Blick auf die Finanzverwaltung, aber nicht für den kleinen Mikrokosmos der Steuerfahndung. Die OFD hat kein Gespür für Steuerstrafverfolgung, sondern kümmert sich um die bürgernahe Fiskalverwaltung.
Was fordern Sie dann?
Die Steuerfahndung muss eine eigenständige Behörde werden, so wie beispielsweise das Landeskriminalamt. Wir sind Strafverfolgungsbehörde, wie die Kriminalpolizei, und haben laut Gesetz im Verfahren die gleichen Rechte und Pflichten wie die Beamten des Polizeidienstes. Gäbe es eine eigene Landessteuerfahndungsbehörde, müsste sie strukturierter gebündelt werden als das jetzt bei uns der Fall ist: Es braucht feste Bereiche für die effiziente Bekämpfung der Kriminalität. Zum Bespiel im Bereich der Geldwäsche, Umsatzsteuerbetrug, Terrorismusfinanzierung oder Cybercrime. In Nordrhein-Westfalen soll jetzt ein solches Landesfinanzkriminalamt entstehen. Hätten wir eine solche Landesbehörde in jedem Bundesland, dann könnte man direkt und strukturiert mit einem künftigen Bundesfinanzkriminalamt zusammenarbeiten. Denn das kann ja nicht ohne uns arbeiten – nur wir haben die Steuerdaten und die Kompetenz, um Steuererklärungen von Verdächtigen einschätzen zu können: Was haben sie für Vermögenswerte? Sind die Angaben plausibel? Nur wenn die Steuerfahndung zur eigenständigen Behörde wird, kann man Finanzkriminalität in Deutschland wirklich schlagkräftig bekämpfen.