Er ist der Herr der Zahlen, Christian Lindners wichtigster Mann: Staatssekretär Werner Gatzer ist seit 18 Jahren zuständig für den Haushalt. Am Montagabend hat er der Ampel eine Haushaltssperre verordnet
Die Ministerien der Bundesregierung haben Post bekommen. Und wenn der Absender Werner Gatzer heißt, dann wissen die anderen schon Bescheid: Irgendwie wird das Geld knapp. Der Brief, den der Haushaltsstaatssekretär jetzt an seine Kolleginnen und Kollegen in den anderen Häusern geschickt hat, ist allerdings mehr als nur die übliche Aufforderung zum Sparen. Gatzer hat eine weitreichende Haushaltssperre verhängt, um nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse zusätzlichen Schaden vom Staatsetat abzuwenden. Der Brief ist gleichermaßen Machtwort wie Ausdruck der Ratlosigkeit im Finanzministerium: Niemand kann bisher sagen, wie es jetzt weitergehen soll.
Keiner kennt so viele Tricks und Kniffe
Für Werner Gatzer ist die Finanzkrise der Koalition nach dem Urteil aus Karlsruhe eine bittere Pointe. Er ist seit 18 Jahren im Amt und aktuell mit Abstand der am längsten amtierende Staatssekretär der Bundesregierung. Niemand durchschaut den Haushalt des Bundes so gut wie er, keiner kennt so viele Tricks und Kniffe, um noch ein paar Euro lockerzumachen. Und ausgerechnet diese Kreativität ist ihm nun zum Verhängnis geworden.
Gatzer hat Ministern aus drei Parteien gedient, mit Peer Steinbrück (SPD) die Finanzkrise durchgestanden und mit Wolfgang Schäuble die schwarze Null erreicht (CDU). Er hat mit Olaf Scholz (SPD) die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise bekämpft und mit Christian Lindner wieder einen ausgeglichenen Haushalt vor Augen gehabt – nicht zuletzt dank der Sondervermögen für die Strompreisbremsen (Doppelwumms) und die klimafreundliche Modernisierung der Wirtschaft. Ausgerechnet die beiden Töpfe stehen jetzt im Feuer.
19.800 Beamte wollen Geld ausgeben und 200 sparen
Was genau macht eigentlich so ein Haushaltsstaatsekretär? „Es gibt in der Bundesregierung rund 20.000 Mitarbeiter“, hat Gatzer mal gesagt. „Davon wollen 19 .800 Geld ausgeben und 200 sparen.“ Diese 200 säßen alle in der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums. Und Gatzer ist ihr Chef, der Staatssekretär. Das ist der Normalfall.
Aber jetzt ist Ausnahmezustand. Das Geld ist knapp, die Zeit auch.
Als Gatzer einst in die Haushaltsabteilung des Finanzministeriums kam, wollte ihn der damalige Staatssekretär Manfred Overhaus eigentlich nicht. Overhaus war Ökonom, Gatzer Jurist. „Juristen galten als Bedenkenträger“, hat Gatzer mal erzählt. Es ist eine Ironie dieser Geschichte, dass ausgerechnet Gatzer bei der Umwidmung von Kreditermächtigungen aus der Coronakrise zugunsten des Klima-Transformationsfonds (KTF) nun offenbar zu wenig Bedenken hatte.
2005 berief ihn Steinbrück zum Haushaltsstaatsekretär. Wenige Monate zuvor war Overhaus ausgeschieden, der das Amt zehn Jahre und acht Monate innehatte. Overhaus galt zu seiner Zeit als der ewige Staatssekretär. Gatzer ist längst der ewigere Staatssekretär. Nur ein paar Monate muss er noch durchhalten, dann würde er auch Otto Schlecht überholen, der 18 Jahre, drei Monate und 22 Tage lang oberster Beamter im Wirtschaftsministerium war. Am 22. Juni 2024, so hat es der Spiegel ausgerechnet, wäre Gatzer der Staatssekretär mit der längsten Amtszeit in der Geschichte der Bundesrepublik. Das könnte er gerade noch schaffen, ehe er im November 2024 das Pensionsalter erreicht.
Der Geist, der stets verneint
Im Inneren einer Regierung ist der Haushaltsstaatssekretär der Geist, der stets verneint. Gatzer hat das mal so formuliert: „Die anderen Ressorts halten alles für sinnvoll, was sie machen. Wir haben manchmal Zweifel.“ Der Großteil eines Haushalts, rund 80 Prozent, steht sowieso von vorneherein fest: Personalausgaben, Liegenschaften und unzählige andere feststehende Posten. Für den Rest besteht der Job des Haushaltsstaatssekretärs meistens darin, die Wünsche der Kollegen aus den anderen Ministerien abzuwehren. Niemand hat das in diesem Jahr vielleicht so intensiv erlebt wie Familienministerin Lisa Paus und ihre Mitarbeiter im Ringen um die Kindergrundsicherung. Hier galt eine alte Devise Gatzers: „Wir schauen uns Programme an, und prüfen, ob das Geld wirklich zu dem gewünschten Ziel führt.“
Wenn sich Gatzers Chef Christian Lindner durchsetzt, dann stehen seinem Staatssekretär harte Zeiten bevor – und den Ministern der anderen Ressorts erst recht. Mit weniger Geld wirksamere Politik machen, hat Lindner als Devise ausgegeben. Freundlich übersetzt heißt das: intelligent sparen. Weniger freundlich bedeutet es: streichen, streichen, streichen.
Überheizte Räume, keine Getränke
Gatzers Vorgänger Overhaus war gefürchtet, er galt als herrisch und arrogant. Er soll Räume überheizt und keine Getränke angeboten haben, um seine Verhandlungspartner zu zermürben. Der frühere Regierungssprecher Peter Hausmann klagte einst, Overhaus würde noch „einem einarmigen Geiger in der Fußgängerzone die Subvention für seine Prothese wegnehmen“. Der einstige CSU-Landesgruppenchef Michael Glos beschrieb das Verhandeln mit Overhaus so: „Den hat noch keiner gefragt, da hat er schon Nein gesagt.“
Werner Gatzer gilt als freundlicher. Da hilft der kölsche Zungenschlag und seine grundsätzlich fröhliche Art. Unter anderem ist Gatzer leidenschaftlicher Karnevalist. An finanzpolitischer Härte allerdings steht er seinem Vorgänger in nichts nach, auch wenn er das butterweich und mit subtilem Humor formuliert: „Hier wird jeder anständig behandelt“, hat er mal über seine Verhandlungsführung gesagt. „So, wie er es verdient.“ Ein Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium soll vor vielen Jahren nach Verhandlungen mit Gatzer auf einen Sandsack eingeprügelt haben, um sich abzureagieren. Genehmigt Gatzer eine Sammelbestellung an Sandsäcken für alle Ministerien trotz Haushaltssperre?
Gatzer lernte sein Handwerk an der Seite von Kollegen, die in den Haushaltsverhandlungen stets die Kataloge der Versandhäuser Otto und Neckermann dabeihatten. Darin prüften sie die Preise für Kugelschreiber, Klarsichthüllen oder Schnellhefter und korrigierten auf dieser Grundlage die Haushaltsansätze der Ressorts nach unten. Es war nicht zuletzt Gatzer, der diese kleinteilige Vorgehensweise später modernisierte.
Kölsche Langmut, aber keine endlose Zündschnur
Eine gewisse Langmut kommt Gatzer als Fan des 1. FC Köln genauso entgegen wie als Staatssekretär. Doch ist seine Zündschnur auch nicht endlos, wie man vor einigen Monaten bei einem Termin mit Journalisten erleben konnte, in dem Gatzer seinem Ärger über immer neue Forderungen der Länder für die Flüchtlingshilfe in für seine Verhältnisse überraschender Deutlichkeit freien Lauf ließ.
Werner Gatzer, seit 41 Jahren in der SPD, gilt als äußerst seltenes Exemplar eines Mannes, der politisch selbstständiges Denken und die überparteiliche Loyalität eines Beamten in einer Person zu vereinen vermag. Wenn er Ende nächsten Jahres ausscheidet, bleibt Gatzer, Vater von vier Kindern, neben seiner Familie noch bis 2025 der Job als Aufsichtsratschef bei der Bahn. Von deren Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin kann man gut von oben ins Finanzministerium schauen. Werner Gatzer könnte es also merken, wenn sein Nachfolger Mist baut.
Das Porträt ist zuerst bei stern.de erschienen