Das Tourismusgeschäft erholt sich rasant von Corona. Geoff Ballotti, CEO der Wyndham-Hotelgruppe, erklärt den Aufschwung mit den gestiegenen Preisen, bei der Auslastung gebe es noch Luft nach oben. Große Hoffnungen setzt er auf reiselustige Chinesen

Geoff Ballotti ist CEO des seit fünf Jahren börsennotierten Wyndham Hotels & Resorts-Konzern mit Hauptsitz in New Jersey, USA. Das Franchiseunternehmen vermarktet Hotelketten unter 24 Marken mit mehr als 9000 Häusern in 95 Ländern.
© Wyndham PR
Herr Ballotti, das globale Tourismusgeschäft ist sechs Jahrzehnte stetig gewachsen, bis die Coronapandemie es jäh ausbremste. Die Industrieländerorganisation OECD sagt eine komplette Erholung nicht vor 2025 voraus. Was denken Sie nach fünf Jahren an der Spitze des weltweit führenden Hotel-Franchising-Unternehmens?
GEOFF BALLOTTI: In den USA war im vierten Quartal 2021 unser Geschäft vollständig zurückgekehrt, und schon das Jahr darauf war für unsere rund 6000 Wyndham-Hotels in den USA besser als das Rekordjahr 2019 – das beste, das sie je hatten. Nun scheint sich das 2023 noch zu steigern. Als börsennotiertes Unternehmen haben wir die ersten beiden Quartale des Jahres mit Gewinnen gemeldet. Wenn man also die Branche in den Vereinigten Staaten ansieht, hat sie sich völlig erholt. Global sind wir in 95 Ländern vertreten – dort müssen wir das Bild noch differenzieren.
Ist es weniger rosig?
Global ist der Reise-und Tourismusmarkt nicht völlig wiederhergestellt. Wir lagen 2022 etwa bei 80 Prozent des 10-Billionen-Dollar-Geschäfts, das es vor Corona war. Die Schätzungen des Welt-Tourismusrates (WTC) reichen von 85 bis 95 Prozent – aber immer noch unter dem Stand von 2019. Einige Märkte haben sich besser erholt als andere. Nach den USA ist in Europa in den vergangenen acht Wochen der Umsatz in der Hotellerie um 20 Prozent zu 2019 gestiegen. Der Haupttreiber dahinter sind jedoch gestiegene Preise. Die Chance für eine weitere Erholung liegt in der Belegung. Denn die Auslastung ist selbst in Europa noch niedriger als 2019 – so wie im asiatisch-pazifischen Raum und insbesondere in China. 2024 wird sich ähnlich wie 2022 und 2023 entwickeln. Gemessen an der Auslastung ist es also nicht überraschend, wenn eine vollständige Erholung der Branche nicht vor 2025 erwartet wird.
Gilt das auch für das Rekordgeschäft von 10 Billionen Dollar vor der Pandemie? Immerhin ist der internationale Luftverkehr in einem Jahr um ein Viertel auf 96 Prozent des Vorkrisen-Niveaus gestiegen.
Zu dieser Rekordschwelle gehören eine Reihe von Komponenten, darunter die Kreuzfahrt, die gerade ein starkes Comeback erlebt. Ich denke, in der Hotellerie werden wir die anteilige Zahl in diesem Jahr erreichen. Im US-Geschäft, dem stärksten Standbein der Wyndham-Gruppe mit mehr Autoreisenden als Fluggästen sind die Übernachtungspreise zweistellig gestiegen. Europa, wo mehr Fluggäste absteigen – und auch US-Touristen mit Macht zurückkommen – sollte nächstes Jahr wieder aufschließen.
Wie schwer hat Wyndham unter der Coronakrise gelitten?
Offensichtlich waren unsere Einnahmen und Gewinne 2021 rückläufig, da wir zur Economy- und Midscale-Klasse gehören, mussten wir etwa in den USA aber keine Hotels schließen. Viele „Blue Collar“-Arbeiter – etwa im Logistik- oder Bausektor – konnten eben nicht mit Zoom-Konferenzen arbeiten. So blieben wir sogar bei einer Auslastung von 30 Prozent über den gesamten Zeitraum profitabel. Unsere Franchisenehmer haben wir wo nötig unterstützt, um offen zu bleiben. Besonders treue Kleinunternehmer bekamen zinsfreien Zahlungsaufschub für die Franchisegebühr. Und 2022 hatten sie tatsächlich ein Allzeithoch. Die Loyalität in der Verlängerung von Verträgen ist seither auf einem historischen Höchststand.
International gesehen, sind 70 Prozent unserer Kunden Urlaubsreisende, 30 Prozent reisen geschäftlich. Im Gegensatz zu den Luxushotels in den großen Städten haben unsere Häuser der Economy-, Mittel- und oberen Mittelklasse schnell von der ersten Reisewelle profitiert, als Familien wieder raus wollten und vor allem All-Inklusive-Angebote buchten.
Welche Auswirkungen hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf den Konzern?
Wir haben sieben bestehende Hotels in Russland geschlossen – von insgesamt 9100 Hotels weltweit. Und von unserer weltweiten Entwicklungspipeline für 1850 Häuser mit 200.000 Zimmern waren etwa 9000 Zimmer in Russland geplant. Die Folgen sind also nicht von großer Bedeutung. Aus strategischer Perspektive ist es natürlich ein Verlust, weil Russland ein großer Markt war. Aber es ist viel wichtiger, das Richtige zu tun. Aus zwei Hotels in der Ukraine haben wir zahlreichen Geflüchteten eine andere Beschäftigung in verschiedenen Hotels in Europa vermittelt.
Auch China bleibt als Reiseland kompliziert …
Für China war 2022 noch sehr schwierig. Erinnern Sie sich: Letztes Jahr um diese Zeit gab es noch Schlagzeilen über die dortigen Lockdowns. Die Umsätze der Hotellerie sind zwar bis Mitte 2023 gestiegen, aber die Belegung bewegt sich auf etwa 80 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Für die Einreise mit dem Flugzeug sind die Kapazitäten auch noch nicht vollständig wiederhergestellt. Der internationale Outbound-Traffic aus China kehrt dagegen zurück. Es kommen immer mehr Flüge nach Europa, nach Berlin, nach Paris hinzu. Und neuerdings auch wieder in die USA.
Chinesen bringen Aufwind
Vor der Pandemie gaben Chinesen jeden fünften Tourismus-Dollar aus. Seit einiger Zeit darf wieder gereist werden. Leiden die wohlhabenden Chinesen weniger als der Rest der Bevölkerung unter der aktuellen Wirtschaftsschwäche?
Der größte Aufwind für eine weitere Erholung im globalen Tourismus wird international eine zunehmende Belegung sein, und dafür werden Reisende aus China der wesentliche Treiber sein. China ist der große Silberstreif am Horizont für das internationale Geschäft bei der Erholung zur besagten Größe von 10 Billionen Dollar. Europa wird dabei der große Nutznießer sein, denn hier gibt diese Zielgruppe doppelt so viel aus wie in jedem anderen Reiseziel. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass chinesische Touristen zu Millionen zurückkommen. Und sie steigen gern nicht nur in den Hauptstädten ab, sondern besuchen Kulturgüter in der Fläche, was uns durch unsere Präsenz in den kleineren Städten zugutekommt. Es geht nicht nur um London, Paris, Madrid oder Barcelona, es geht um Sevilla, Marseille oder Lyon. Mit dem Comeback der Chinesen werden wir 2024 ein phänomenales Jahr haben.
Gilt das auch für den US-Markt? Seit August erlaubt Peking auch dorthin wieder Gruppenreisen.
Das ist auch eine große Chance für die Belegung auf dem US-Markt. Um die fehlenden fünf Prozentpunkte aufzuholen, wird dieses gerade aufwärts strebende Geschäft uns helfen. Auch hier wird der chinesische Tourist nicht in der zu teuren Innenstadt von New York absteigen, sondern in einem Days Inn oder einem Super Eight oder Ramada in New Jersey übernachten und einen Bus in die Stadt nehmen. Alle US-Fluggesellschaften, Delta, United, American, kündigen wöchentlich zusätzliche Flüge nach Newark, JFK, LaGuardia und Dulles an – alles beliebte Reiseziele der Chinesen. Und sie verhalten sich nicht anders als Konsumenten weltweit, unter denen der Wunsch zu reisen nie größer war als jetzt, wo Gespartes lieber für den Urlaub als für das nächste technische Gadget ausgegeben wird.
Dämpft der weltweite Inflationsanstieg nicht auch die Reiselust? Wie weit können Sie ihre Übernachtungspreise noch erhöhen?
Inflationsbereinigt liegen unsere durchschnittlichen Tagespreise für unsere Hotels immer noch auf oder etwas unter dem Niveau von 2021. Daran erinnere ich unsere Kleinunternehmer immer wieder, wenn sie fragen, ob wir die Preise nicht senken müssen, um die Nachfrage anzukurbeln. Nein. Weltweit sind die Lebenshaltungskosten inflationsbedingt gestiegen, und das nagt an der Wirtschaft. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt. Aber der Höhepunkt der Preiserhöhungen wird in diesem Jahr noch nicht erreicht. Nicht mehr so schnell wie im letzten Jahr, aber die Nachfrage ist immer noch da. Die Menschen sind bereit zu zahlen.
Aber das Einkommen der Menschen hält nicht zwangsläufig mit der Inflation Schritt.
Da haben Sie absolut recht, es bringt tatsächlich einige Herausforderungen mit sich. Aber im Gesamtbild betrachten wir in den nächsten vier oder fünf Jahren all diese Mittelschichten, all diese jungen Leute, die vom indischen Subkontinent oder Saudi-Arabien und dem Mittleren Osten aufbrechen wollen. Sie sind gebildet, gehen zur Universität, gründen Familien. Sie wollen erleben und beim Reisen geht es um Erfahrung. Wir sind im Glücksgeschäft. Das Paradigma der Art und Weise, wie wir reisen, wird sich komplett verändern. Wir reden von traditionellen Märkten – dass Deutsche nach Griechenland gehen oder Briten nach Teneriffa. Aber was ist mit den 350 Millionen Indern der Mittelschicht, die in den nächsten fünf Jahren reisen werden? Was mit so vielen jüngeren Menschen in Entwicklungsländern, die jetzt die Mittel haben werden zu reisen?
Wo sehen Sie international neue Wachstumsmärkte?
Das hängt immer von den Herkunftsländern ab.Der beliebteste Ort für eine Reise aus den USA im vergangenen Winter war die Karibik und Mexiko. Die Leute fühlten sich wohl. Covid-Tests waren nicht erforderlich. Es gab ein tolles Preis-Leistungs-Verhältnis. Der amerikanische Dollar war stark. Was ist diesen Sommer passiert? Europa boomte. Darüber hinaus geht es uns in der GUS-Region – mit Ausnahme Russlands – sehr gut. Wir expandieren nach Kasachstan, in den Osten Georgiens und nach Aserbaidschan. Dort gibt es eine unglaubliche Entwicklung. Und wer hätte vor fünf Jahren gewettet, dass wir ein Hotel in Buchara in Usbekistan eröffnen würden? In Georgien sind wir mit zwölf Hotels jetzt führend unter den internationalen Konzernen.
Schon vor Covid umfasste die Region einige der am schnellsten wachsenden Reiseziele der Welt, und heute sind diese Entwicklungsmärkte eine Erfolgsgeschichte. Politisch herrscht größere Stabilität als je zuvor, weil aufgrund der Sanktionen gegen Russland viel Geld aus dem Westen investiert wird, und viel Geld aus China im Rahmen seiner Initiative Neue Seidenstraße (BRI). Die junge Bevölkerung ist in einer sich öffnenden Welt hungrig nach zwei Dingen: Reisen und Bildung. So reisen Kasachen zum Beispiel zu Tausenden in das neue Traumziel Ras Al Khaimah, ein kleines arabisches Emirat. Dort wollen wir nun auch unsere Marke einführen.
Ein sehr interessanter Trend, der wohl auch so weitergehen wird, waren die nordischen Länder, die in diesem Jahr die größte Zugkraft entfaltet haben. Angesichts der hohen Temperaturen und wiederholten Waldbränden im Mittelmeerraum zog es viele Menschen nach Finnland, Norwegen oder Dänemark statt traditionell nach Südeuropa. Damit hat niemand gerechnet, aber es scheint tatsächlich, dass Parameter wie der Klimawandel hier die Reiseentscheidungen der Menschen beeinflussen. Für uns bedeutet das, dass die Expansion auch in Skandinavien höchste Priorität hat.
Wie sehen Ihre Pläne in Deutschland aus? Neubauten scheinen angesichts der Baukrise derzeit schwierig.
Unsere vielleicht am schnellsten wachsende globale Pipeline befindet sich derzeit in Europa. In zwei Wochen eröffnen wir ein Büro in Berlin. Wir werden hierzulande zusätzlich zu 130 bestehenden Häusern, einschließlich der neu hinzugekommenen Marke Vienna House by Wyndham, künftig eine erhöhte Präsenz an Wyndham-Hotels sehen. Aber wir besitzen nicht und verwalten nicht. Und so schränken uns Immobilienwerte, Finanzierungen und Zinsen nicht wirklich ein. Für einen Franchisenehmer gibt es dagegen keinen einfacheren Weg, den Bankkredit zu bekommen, als eine große Marke wie Wyndham hinter sich zu haben. Und wir können dem Eigentümer und der Bank sagen, dass weltweit vier von zehn Reservierungen über unser Treueprogramm erfolgen, und sechs von zehn Reservierungen über unser zentrales Reservierungssystem.