Kolumne
Bernd Ziesemer
Ausverkauf bei Siemens Energy
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Alle wollen den Konzern retten. Die wirklich schwierige Frage aber stellt sich erst danach: In welcher Aufstellung kann Siemens Energy langfristig überleben?
Wenn Unternehmen in eine tiefe Krise schlittern, ringt man in dramatischen Tag- und Nachtsitzungen um eine Lösung. Man muss sich das wie ein großes Pokerspiel vorstellen: Wieviel Geld und Garantien braucht der betroffene Konzern wirklich? Was steuern Anteilseigener und Gläubiger bei? Welchen Beitrag leisten die Banken? Und wieviel Staatsgeld fließt? So ähnlich lief es in den letzten Tagen auch bei Siemens Energy, der dringend staatliche Kreditgarantien braucht, obwohl er nicht pleite ist. Klar war im Fall des Münchner Unternehmens aber von Anfang an: Alle wollen Siemens Energy retten. Der Bund braucht den Windkraftanlagenhersteller, um seine Energiewende durchzuziehen. Die Banken wollen ihre Milliardenkredite nicht abschreiben. Und ja: Auch der alte Mutterkonzern Siemens AG, der immer noch ein Viertel der Aktien seiner früheren Tochter hält, kann sich einen lauten Krach nicht leisten. Es ging bis zuletzt nur darum, wer was beisteuert. Und nicht darum, ob man den Konzern fallen lässt.
Die wirklich schwierige Frage stellt sich erst später, wenn die Staatsgarantien in trockenen Tüchern sind und die aktuelle Krise beigelegt ist: Ist der Konzern in seiner jetzigen Aufstellung auch langfristig konkurrenz- und überlebensfähig? Die Antwort lautet: nein. Der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser, der nun den Aufsichtsrat von Siemens Energy führt, hat bei genauer Betrachtung ein Wahngebilde errichtet. Der Krisenkonzern besteht aus Sparten, zwischen denen keine Synergien bestehen und sich gegenseitig auch sonst kaum befruchten. Unter dem Konzerndach versammeln sich vier Geschäftsbereiche: die Montage und der Betrieb von Offshore- und Onshore-Windkraftanlagen, der Bau von Turbinen und Zubehör für die Öl- und Gasindustrie und das dazu gehörige Servicegeschäft, Stromübertragung und Netzlösungen sowie eine Sparte mit dem kryptischen Namen „Transformation of Industry“, der Projektgeschäft betreibt. Kaeser träumte bei der Abspaltung von Siemens Energy von „Angeboten aus einer Hand“. Das Problem dabei ist nur: Kaum jemand fragt solche Paketlösungen nach.
Ausverkauf hat schon begonnen
Langfristig macht die jetzige Struktur keinen Sinn. Sie erhöht nur den Grad der Komplexität für das ohnehin überforderte Konzernmanagement. Am besten wäre es, die Sparten zu verselbstständigen und zu verkaufen. Die Teile sind deutlich mehr wert als der ganze heutige Konzern, der an der Börse gerade noch mit einem Wert von 8 Mrd. Euro gehandelt wird. Das ist ungefähr genauso viel wie Kaeser 2015 allein für die teure Übernahme des amerikanischen Dresser-Rand-Konzerns ausgegeben hatte, der heute den Kern der Öl- und Gassparte von Siemens Energy bildet.
In Wahrheit hat der Ausverkauf auch schon begonnen. Man nennt es in München vornehm „Portfoliobereinigung“. So trennt sich Siemens Energy von dem Bereich Trench, der weltweit Komponenten für Hochspannungsstromnetze verkauft. Die 24-Prozent-Beteiligung an der Siemens Ltd. in Indien, die an der Börse von Mumbai eigenständig notiert wird, kommt auch dran. Es geht gar nicht mehr um die Frage, ob sich Siemens Energy gesundschrumpft – sondern nur noch um die Frage, ob es weiter geht mit vielen kleinen Schritten oder einem ganz großen.