Interview
Babbel US-Chefin
„Auch wir werden KI natürlich nicht ignorieren“
Das Logo der Sprachlern-App Babbel
© Das Logo der Sprachlern-App Babbel
Englisch ist die meistgesprochenen Sprache der Welt. Im Interview erzählt die US-Chefin der deutschen Sparchlern-App Babbel Julie Hansen, wie die USA zum größten Markt geworden sind und warum KI die App nicht überflüssig macht
Frau Hansen, der Name Babbel erinnert an den Babelfisch aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“, ein Lebewesen, das man sich ins Ohr steckt und dann jede Sprache versteht. Er ist längst zum Symbol für maschinenbasierte Übersetzungssysteme geworden. Bei dem Tempo, indem die künstliche Intelligenz (KI) voranschreitet: Wann glauben Sie, wird es Anwendungen geben, die uns Sprachen direkt im Ohr übersetzen?
JULIE HANSEN: Tools, die Nutzern ins Ohr sprechen und simultan übersetzen, gibt es längst. Zum Beispiel von Google. Für gewisse schnelle Anwendungen sind solche Lösungen auch super, wie zum Beispiel, um nach dem Weg zu fragen. Babbel will durch Sprache aber auch tieferes gegenseitiges Verständnis schaffen. Gerade in den USA heiraten viele Menschen in Familien mit unterschiedlichen Sprachen ein. Wenn eine Anwendung Menschen eine Übersetzung ins Ohr flüstert, kann man beispielsweise nur schwer eine Beziehung zu seiner Schwiegermutter aufbauen, die eine andere Sprache spricht.
KI wird immer besser. Wird dadurch das Geschäftsmodell von Babbel nicht doch irgendwann überflüssig?
Wir glauben, dass es für das Erlernen einer Sprache immer die menschliche Note eines Lehrers bedarf. Selbst, wenn die Nutzung von KI in Zukunft sicherlich zu nehmen wird. Bei Babbel arbeiten rund 200 Linguisten in unserem didaktischen Team. Ihr menschliches Fachwissen und ihre kulturelle Kompetenz sind von unschätzbarem Wert. Auch wir werden KI natürlich nicht ignorieren – aber immer in Verbindung mit einer menschlichen Note.
Nutzt Babbel denn schon KI?
In Babbel steckt schon jetzt tonnenweise maschinelles Lernen. Wir haben bereits 2016 begonnen, mit konkreten KI-Anwendungen zu experimentieren. Im aktuellen Babbel-Produkt findet sich das in der eigens von uns für unsere Anwendung realisierten Spracherkennung, in unserer Fehlerkorrektur und den damit verbundenen Übungen sowie in der Ausspielung von personalisiertem Inhalt an die Lernenden. All diese Beispiele basieren auf dem Zusammenspiel von unserem Expertenwissen und KI-Technologie.
Lernen Sie denn gerade eine Fremdsprache?
Ich habe Deutsch gelernt. Es fällt mir allerdings schwer, weil ich wegen der Pandemie nicht oft in Deutschland sein konnte. Da Reisen jetzt wieder möglich ist, werde ich mich wieder mehr dahinterklemmen.
Babbel ist ein Berliner Scaleup. Im Jahr 2015 hat das Unternehmen den Sprung in die USA gewagt. Englisch ist die meistgesprochene Sprache der Welt. Wieso hat sich das Unternehmen damals für eine Expansion entschieden?
Tatsächlich hat der US-amerikanische Markt so seine Tücken. Dass Ausländer Englisch sprechen, ist für viele Amerikaner eine Selbstverständlichkeit. Die Mehrheit der US-Bevölkerung lernt in der Schule keine zweite Sprache. Die USA sind inzwischen trotzdem – oder gerade darum – zu Babbels stärkstem Markt geworden. Alleine in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres haben wir dort eine Million Abonnements verkauft. Schließlich sind die USA die größte Volkswirtschaft der Welt. Hier kommen so viele unterschiedliche Nationen zusammen, das weckt auch die Lust, neue Sprachen zu lernen. Außerdem ist in der amerikanischen Gesellschaft das Konzept „lebenslanges Lernen“ sehr verankert. Die Menschen wollen sich immer optimieren. Zudem ist der B2B-Markt sehr interessant für uns, das heißt Firmen, die ihren Mitarbeitenden flexible Sprachkurse anbieten wollen.
US-Amerikanern eilt der Ruf voraus, dass sie nicht so gern Fremdsprachen lernen…
In gewisser Weise ist das sogar sehr hilfreich. Unsere App ist einerseits die Antwort auf ein knappes Angebot, sie nimmt aber vielen anderseits auch Berührungsängste. Für viele ist die Möglichkeit, mit einer App zu lernen, sehr beruhigend. Denn sie urteilt nicht.
Welche Sprache lernen die US-Amerikaner denn am häufigsten?
Spanisch. Der große Vorteil in Amerika ist: Viele unserer Nutzer haben die Möglichkeit, ihre Spanischkenntnisse im Alltag auf den Prüfstand zu stellen. Nicht nur die Nähe zu Mexiko, auch eine große spanischsprachige Community ermöglicht das. Eine der großen Anpassungen, die wir für den US-Markt vorgenommen haben, war, dass wir auch Kurse in mexikanischem Spanisch entwickelt haben. Das war für unseren Erfolg in den USA von enormer Bedeutung.
Wie hat sich das Unternehmen von seinen US-Mitbewerbern abgegrenzt?
Eine der erstaunlichsten Dinge am US-Markt ist unter anderem, dass er in jeder denkbaren Kategorie am wettbewerbintensivsten ist. Und das sehen wir natürlich auch. Auch in den USA gibt es noch etliche andere Sprachlern-Apps auf dem Markt. Wir richten uns mit unserem Angebot vor allem an motivierte Nutzer, die ihre neue Sprache wirklich sprechen wollen und dementsprechend auch nichts dagegen haben, etwas Grammatik zu lernen. Das sind Menschen, die tiefergehende Erfahrungen suchen wie einen neuen Job, eine tolle Reise oder die Erweiterung des eigenen Horizonts.
Inwiefern unterscheiden sich der europäische und der amerikanische Markt noch?
In beiden Märkten geht es Babbel darum, Nutzern beizubringen, Gespräche im echten Leben führen zu können. Was sich allerdings schon unterscheidet, sind die Beweggründe: In Europa und dem Rest der Welt lernen Menschen beispielsweise viel öfter eine Fremdsprache, um im Job weiterzukommen. Das machen US-Nutzer seltener. Sie lernen dafür mehr für Reisen, als Gehirntraining, um sich mit anderen Communities auszutauschen – oder einfach zur Selbstoptimierung.
Startups und Tech-Unternehmen haben es seit dem vergangenen Jahr auch im Silicon Valley schwer. Hat die große Entlassungswelle in den USA auch Babbel erreicht?
Die Entlassungswelle im Technologiesektor war für viele Unternehmen schmerzhaft. Glücklicherweise musste Babbel in den USA und auch in Europa keine Mitarbeiter entlassen. Ganz im Gegenteil: Wir stellen sogar noch weiter ein. Inzwischen arbeiten 1.000 Angestellte für Babbel. Wir sind bei unserem Wachstum traditionell immer eher konservativ vorgegangen. Wir haben seit einem Jahrzehnt einen positiven Cashflow. Die Pandemie hat der Online-Lernbranche zusätzlich einen unglaublichen Aufwind beschwert, den wir durch den Start von Babbel Live, unseren virtuellen Klassenzimmern mit motivierenden Lehrerinnen und Lehrern, noch befeuern konnten.
Für das Jahr 2021 war eigentlich geplant, dass das Unternehmen an die Börse geht. Dann wurde der Gang aufs Parkett kurzfristig abgesagt. Grund: Ungünstige Marktbedingungen. Gibt es bald einen neuen Anlauf?
Wir haben tatsächlich noch mehr Geld auf der Bank, als wir je eingesammelt haben. Momentan haben wir es mit einem Börsengang also nicht eilig. Auf dem Aktienmarkt muss es zunächst zu einer Kurskorrektur kommen. Einige Startups, die diesen Schritt gewagt haben, sind seitdem übel dafür bestraft worden. Rückblickend würde ich sogar sagen, dass wir froh sein können, dass wir 2021 nicht an die Börse gegangen sind.
Das Interview ist zuerst bei ntv.de erschienen