Meinung
Bundesverfassungsgericht
Ampel in Not: Schlimmer hätte das Urteil nicht ausfallen können
Ernste Mienen bei den Ampel-Spitzen: Das Bundesverfassungsgericht hat den zweiten Nachtragshaushalt 2021 gekippt.
© Kay Nietfeld/dpa / Picture Alliance
Das Bundesverfassungsgericht hat den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die drastische Entscheidung widerlegt auch den „Ich weiß alles besser“-Gestus des Kanzlers.
Das Verfassungsgericht hat gesprochen, und schlimmer hätte es für die Ampel-Koalition nicht kommen können – juristisch, wie politisch. Das Urteil aus Karlsruhe lässt sich sehr kurz zusammenfassen: Die Regierung hat in rechtswidriger Weise versucht, sich ein finanzielles Polster anzulegen, um die eigene politische Agenda zu verwirklichen. Doch der Zweck heiligt nicht die Mittel, sondern unterliegt dem Grundgesetz.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts gegen die Umwidmung von 60 Mrd. Euro Kreditermächtigungen aus Corona-Mitteln zum Anschub der grünen Transformation ist der drastischste denkbare Einschnitt in die Haushaltsplanung der Regierung, den die Klage der Unions-Fraktion überhaupt zur Folge haben konnte. Keine Teillegitimation, keine Übergangsfristen, kein Entgegenkommen für die gute Absicht, das Klima zu retten.
Juristische Bestätigung für den gesunden Menschenverstand
Der Trick der Koalition, die Ermächtigungen des Klima- und Transformationsfonds (KTF) einfach als fortwährende Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen nach der Coronakrise darzustellen, ist gescheitert. Damit hat Karlsruhe juristisch die Zweifel bestätigt, die der gesunde Menschenverstand von Beginn an anmelden musste. In seiner Absolutheit ist der Spruch aus Karlsruhe ein politisches Urteil über die Arbeit der amtierenden Regierung, mit dem das ohnehin niedrige Vertrauen in die Ampel ganz sicher nicht gestärkt wird, um das Mindeste zu sagen.
Das alles trifft Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck schon hart genug. Hinzu kommt, dass jetzt die Finanzierung des ökologischen Umbaus einer modernen Industriegesellschaft in den nächsten Jahren völlig ungewiss ist und schon bald zu massivem Streit zwischen den drei Koalitionsparteien führen wird. Grüne und Teile der SPD werden nun noch massiver auf eine Reform der Schuldenbremse drängen, selbstverständlich gegen den Widerstand der FDP.
Kritik an gesetzgeberischer Schlamperei
Was der Ampel aber den Rest gibt, ist die Karlsruher Kritik an fehlenden oder unzureichenden Begründungen für ihre Vorgehensweise sowie der Verstoß gegen sehr grundsätzliche Regeln der Haushaltsaufstellung, zum Beispiel dass selbst ein Nachtragshaushalt nicht für ein vergangenes Jahr aufgestellt werden darf. Anders gesagt: Die Karlsruher Kritik an der gesetzgeberischen Schlamperei der Koalition widerlegt auch auf dramatische Weise den „Ich-weiß-eh-alles-besser“-Gestus des Juristen, ehemaligen Finanzministers und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz.
Mit dem Vorgehen der Ampel ist aber auch das Instrument des Sondervermögens diskreditiert. Zwar sagt das Verfassungsgericht ausdrücklich, dass eine Regierung jederzeit wieder eine Notlage geltend machen kann, um Kredite jenseits der Schuldenbremse aufzunehmen. Aber sie muss dieses Vorgehen dann aus der Situation heraus begründen. Das wird nach dem Spruch aus Karlsruhe politisch bestimmt nicht leichter.
Die Regierung wird sich nun bemühen, die unmittelbaren Folgen des Urteils herunterzuspielen. Tatsächlich wird manche Konsequenz erst in den Haushaltslöchern der nächsten Jahre spürbar werden. Das Urteil aus Karlsruhe könnte freilich mit dazu führen, dass es nicht mehr diese Koalition ist, die sich damit herumschlagen muss.
Der Kommentar ist zuerst bei stern.de erschienen